Die finale WM-Caipirinha 2014

Es war ein Endspiel vom ganz oberen Regal, trotz einer überschaubaren Anzahl an erstklassigen Torchancen. Es war ein großes Spiel, das nicht nur von seiner Spannung lebte, sondern vor allem auch von der knisternden Intensität, vom anfangs hohen Tempo, von den hart, aber selten unfair geführten Zweikämpfen, das mit zunehmender Spieldauer dazu führte, dass sich beide Teams zum Schluss nur noch schwer auf den eigenen Beinen halten konnten. Zur Symbolfigur wurde ausgerechnet ein aufopferungsvoll kämpfender Schweinsteiger, vielleicht noch vor Lahm, Podolski, Klose und Mertesacker die Symbolfigur der großen deutschen Generation der letzten Jahre.

Klose… dieses Sinnbild für den fairen Sportsmann. Ich gönne es ihm wie wenigen anderen. Wie Klose gestern mit triefnassen Augen seine Kinder über das Spielfeld chauffierte, werde ich nie vergessen. Es gibt wenige Sportler, mit denen ich mich besser identifizieren kann. Grande Miroslav.

Um den Verlierer ausreichend zu würdigen: Argentina, das war groß. Das war die Wiedergutmachung für das Auftaktspiel gegen Bosnien. Ich erlasse Argentina hiermit die (nicht billige) Rechnung für die verschenkte Lebenszeit für jenen WM-Opener. Die Argentinier waren ein ebenbürtiger Gegner, sie lieferten ihre mit Abstand beste Turnierleistung und hätten mit einer Prise mehr Selbstvertrauen oder einer Prise mehr Abschlussglück durchaus auch den Titel abstauben können. Weiterlesen

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WM-Caipirinha 2014: Niederlande – Costa Rica | Viertelfinale

Niederlande – Costa Rica war ein Spiel, das trotz zweier eher verhalten (besser: defensiv) eingestellter Mannschaften durchaus seinen Charme entwickelte, und in den letzten Minuten der Verlängerung sogar zu einem fassungslosen Feuerwerk mit Chancen hüben wie drüben im Sekundentakt explodierte. Am Ende gewann Holland im Elfmeterschießen.

Können wie den „Geniestreich“ Van Gaals mit Torhüter Krul schnell abhandeln? Van Gaal gewann, also ist Van Gaal der King. Aber wehe, das geht schief… Krul selbst gehört ausgepfiffen. Weiterlesen

WM-Caipirinha 2014: Argentinien – Belgien | Viertelfinale

Belgien vs Argentinia war eines der enttäuschenden Spiele in diesem Turnier, und gegen Spielende wurde ich mit jedem Abseits- oder Handpfiff aggressiver und musste meinen Frust ertränken. Argentinien kam dank eines Zufallstreffers von Higuain weiter. Higuain schloss geistesgegenwärtig und richtig stark ab, aber die Vorarbeit für den schnellen Siegtreffer war gar nicht für Higuain gedacht, sondern kam nur per Ablenkung vor seine Füße.

Was folgte, war eine frustrierende Partie, in denen man den Belgiern tausendmal zurief, probiert doch endlich mal was!, aber sie hörten nicht zu. Sie standen ratlos herum, wie die scheuen Rehe, die sich nicht in deine Nähe trauen. Weiterlesen

WM-Caipirinha 2014: Brasilien – Kolumbien | Viertelfinale

Der Südamerika-Schlager Brasilien vs Kolumbien ist sicher eines der prägenden Spiele des Turniers. So ganz sicher bin ich mir auch zwei Tage danach noch nicht, was ich von ihm halten soll: Ja, es war aus neutraler Sicht ein unterhaltsamer Abend, aber dann musst du aber auch bedenken, dass von den gut 95 Minuten Spielzeit der Ball nur 41 Minuten im Spiel war – der Rest bestand aus Gekloppe und Raustragen von verletzten Spielern.

Brasilien verliert mit diesem Spiel Neymar, seinen wertvollsten, weil definierenden Offensivspieler. Das ist tragisch für den Spieler, aber für die Mannschaft fühlt es sich an wie wer Scheiße sät, wird Scheiße ernten: Scolari ließ seine Mannschaft hyperaggressiv ins Spiel gehen, fast als wäre der einzige Zweck gewesen, den prägenden Spieler des Turniers, #10 James Rodriguez, aus dem Spiel zu treten, ein Plan, den vor allem #5 Fernandinho gut umzusetzen wusste. Weiterlesen

WM-Caipirinha 2014: Deutschland – Frankreich | Viertelfinale

Aus gegebenem Anlass – stundenlange Verzögerung am Flughafen – gebe ich in diesen nicht beschäftigungsarmen Tagen mal wieder eine Caipirinha aus: Deutschland vs Frankreich 1:0, Qualifikation für das Halbfinale eingetütet, und damit sportlich wohl das Soll erfüllt. Enttäuscht kann man allerdings noch immer von der mangelnden spielerischen Qualität sein, wobei ich das Gefühl habe, dass es Löw und sein Trainerteam mittlerweile gar nicht mehr darauf anlegen, in Brasilien noch so etwas wie schönes Spiel zelebrieren zu wollen, trotz der Tatsache, dass man die mit Abstand passlastigste Mannschaft im Turnier stellt. Weiterlesen

WM-Caipirinha 2014: Das war Gruppe D

Ich höre keine Autokorsi aus dem Tal, was meistens das Ausscheiden der italienischen Mannschaft von der Weltmeisterschaft bedeutet. Und was für ein Ausscheiden: Chancenlos gegen eine unterirdische uruguayische Elf geflogen, in einem der schwächsten Spiele des Turniers. Italiens Einbruch war so verheerend, dass sich selbst im Mainstream kaum Stimmen (außer jener des erregten Cesare Prandelli) findet, die dem durchaus streitbaren Schiedsrichter Vorwürfe bestreitet.

Einhelliger Tenor: Die Azzurri haben komplett versagt. Sah man in der blamablen 0:1-Klatsche gegen Costa Rica noch einen Betriebsunfall, gerät nun alle Arbeit Prandelli ins Visier. Zugegeben: Prandellis Umstellungen gingen in beiden Spielen in die Hose. Darmians Seitenwechsel erwiesen sich als Griff ins Klo; Abate wurde rein und schnell wieder rausrotiert. Der zu Turnierbeginn gegen eine schwache englische Abwehr überzeugende Candreva enttäuschte gegen Costarica, bekam gegen die Urus keine Chance mehr, weil der phlegmatische Parolo den Vorzug bekam.

Italien, schon gegen Costa Rica nach spätestens einer Stunde konditionell in den Seilen und nach 75 Minuten komplett shot, bot gegen Uruguay erneut eine peinliche Vorstellung. Es gab kaum Versuche, Offensiv-Aktionen zu setzen. Stattdessen stellte man sich hinten rein und war nach dem 0:1 zu keiner Reaktion mehr imstande. Lag es an der berechtigten roten Karte (man schaue sich das Nachtreten direkt vor dem Schiri an) für Marchisio? Kaum, denn auch vor dem Platzverweis waren Offensivbemühungen ein zartes Pflänzchen.

Hernach übte der heute rehabilitierte Buffon dann auch noch deutliche Kritik an der jungen Spielergeneration, und meinte dabei wohl vor allem den komplett durchgeknallten Balotelli, der auch heute wieder am Rande eines Platzverweises wandelte und notgedrungen ausgewechselt werden musste. Das sind Nachwehen von Trainern, die große Ethik-Kodexe ausrufen nur um sie nach dem ersten Vergehen zu widerrufen. Das sind Abbilder einer italienischen Kultur der Verdrängung, die sich seit vielen Jahren im Staate nicht mehr verdrängen lassen, und die mittlerweile auch im Fußball wohl nicht mehr verdrängt werden können.

Ich bin überrascht von der minderen Qualität des italienischen Gebotenen. Ich hatte von dieser Mannschaft deutlich mehr erwartet. Es hatte eigentlich gut begonnen gegen England, und war danach völlig eingebrochen. Das Aus hat auch was Gutes für Italiens Fußball: Es gibt erneut die Chance, sich zu überdenken, und letztlich erspart man sich ein null zu vier im Achtelfinale gegen Kolumbien.

Uruguay wird Zweiter. Das ist bemerkenswert, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Meter man nach dem Auftaktspiel gegen Costa Rica schon unter der Erde lag. Das war eine Mannschaft, die nicht mehr zuckte. Komplett tot. Dann reagierte Coach Tabarez, verbannte die desolate alte Garde um Forlan und Lugano aus der Startelf und wurde mit zwei besseren – nicht guten! – Vorstellungen gegen England und Italien belohnt.

Tabarez ließ in den beiden Spielen eine Art 5-3-2 spielen, mit einem zuletzt nach innen gezogenen Caceres in den Abwehr. Das funktionierte um Welten besser als die starre 4-4-1-1 Formation zum WM-Beginn. Besonders gut war’s trotzdem nicht. Man ist zwar bissig, aber spielerisch können die Urus nix. Sie sind ein reines Zufallsprodukt und gehören in dieser Form in kein WM-Achtelfinale, aber immerhin zeigten sie Willen.

Die Drama-Queen Suarez ist auch so ein Sonderfall. Sportrecht ist zu kompliziert und zu undurchsichtig, um es heranzuziehen, daher können wir es uns in diesem Falle einfach machen und populistisch den einzigen richtigen Schluss fordern: Suarez aus dem Verkehrt zu ziehen.

Der Staffelsieger der Gruppe D ist wie vor der WM von allen erwartet Costa Rica. Diese Jungs sind eine fantastische Geschichte. Verdient nacheinander Uruguay und Italien geschlagen, und mit viel Glück einen Punkt gegen England geholt. Spielerisch ist das ausbaufähig, aber sie rennen bis zum Umfallen und sind auch in der Lage, kluge Gegenangriffe zu setzen – wohlgemerkt „klug“, nicht „schnell“, dafür fehlt diesem Team die Qualität. Costa Rica baut auf eine bockstarke Defensive und ein 5-2-3 System, in dem man vorne viel Vertrauen in die Qualitäten vom Stürmer Campbell legt, der bereit ist für höhere Aufgaben. So viele Fünferketten in nur einer Gruppe, da wirst du ganz wuschig.

Die einzigen, die ohne spielten, wurden abgeschlagene Letzte: England. Aber halt: So schwach waren die Engländer nicht. Die guten Ansätze hatte ich schon in den letzten Tagen diskutiert, und ehrlicherweise muss man ihnen auch einen großen Batzen Pech zugestehen. England spielte erfrischend, und auch wenn dabei ganze zwei Tore heraussprangen, so sehe ich durchaus Potenzial für mehr.

Man war sicher naiv, und das 4-2-3-1 ist vor allem in der Mittelfeldzentrale noch zu schwach (oder zu alt?) besetzt, und die komplette linke Abwehrseite erwies sich als Knackpunkt, aber diese jungen Offensivspieler sind alle Hoffnungsträger. Ohne soweit gehen zu wollen, den Engländern schon in zwei oder vier Jahren Titelchancen zuzutrauen, aber: Die Richtung stimmt dort. Trotz des Ausscheidens gegen zumindest zwei Mega-Enttäuschungen des Turniers (Italien, Uruguay).

Nachtrag: Kaum sinniert, erklären Prandelli und Verbandspräsident Abate ihre Rücktritte in der Pressekonferenz.

WM-Caipirinha 2014: Das war Gruppe A

Brasilien ging wie erwartet durch, aber alles rosig ist bei der Selecao bei weitem nicht. Gegen Kroatien musste der Schiri nachhelfen, von den Mexikanern bekam man einen epischen Kampf geliefert, der fast in einer Niederlage geendet wäre (und gefühlt eine war), und Kamerun war kein Prüfstein.

Brasilien wirkt wie ein ziemliches one trick pony, was auch an der immergleichen Aufstellung liegt. In der Abwehr ist man trotz Tingeltangel eine recht stabile Unit, das zentrale Mittelfeld mit Paulinho und Gustavo funktioniert auch – bisher – ausreichend, aber vorne ist das nicht immer überzeugend. Man ist relativ abhängig von den Genieblitzen von Neymar, hat ansonsten nicht viel anzubieten: Fred ist bisher ein Ausfall, Oscar hatte auch nur gegen Kroatien wirkliche Spielfreude versprüht, und auf dem rechten Flügel sieht das bisher überhaupt nicht gut aus: Hulk wich in Spiel 1 stark nach links aus. Gegen Mexiko brachte Scolari dann Ramires, was komplett schief ging und schon nach einer Halbzeit mit dem Wechsel endete; Bernard ist keine Idealbesetzung, kann aber immerhin als Joker neue Aggregatszustände bringen; tja, und ganz vorne wäre Jo ein gefühltes Upgrade über Fred, aber so wirklich überzeugend ist ein Jo halt auch nicht.

Jetzt also Chile. Brasilien war bisher immer ein Team, das naive Teams locker schlagen konnte, und man putzte auch vor vier Jahren das abschlussschwache Chile locker 3:0 im Achtelfinale. Diese Chilenen 2014 sind aber dann doch eine furchteinflößende Erscheinung, nicht bloß, weil Ganzkörpertätowierung erstes Nominierungskriterium ist: Es würde mich nicht überraschen, wenn Coach Sampaoli einen Manndecker auf Neymar hetzt und somit die brasilianische Offense hinreichend lahm legt um ein historisches Upset in Angriff zu nehmen…

Platz zwei in der Gruppe: Mexiko! Das freut mich als altem Mexiko-Fan natürlich ganz besonders, umso mehr, weil kein Mensch der Tri was zugetraut hatte. Die Mexikaner spielen ihren alten Stiefel runter: Ganz nett anzuschauen, aber nicht kalt genug und nicht schnell genug im Umschaltspiel, aber: Als Gesamtes ist das schwer überzeugend. Man spielt ein trockenes 5-3-2 mit zwei eher offensiven Außenverteidigern, und man ist vor allem darauf bedacht, die Zentrale stabil zu halten und gleichzeitig das eigene Spiel brutal breit anzulegen.

Die Mexikaner sind eher keine Kandidaten, einen Gegner mit einer Orgie an Torchancen 4:0 an die Wand zu nageln, aber sie können Mehltau: Sich auf den Gegner drüberlegen, ihn langsam einzuschläfern und danach zu ersticken. Sie können fantastisch aus der zweiten Reihe schießen und gegnerisches Aufbauspiel abfangen. Ich frage mich allerdings, wie die eher langsame mexikanische Defensive gegen die holländischen Sprinter um Robben auftreten wird.

Kroatien ist Dritter. Kroatien hatte ich mehr zugetraut. Das Auftaktspiel gegen Brasilien war noch tendenziell sehr gut, ehe man durch einen krassen Schiedsrichterfehler das Spiel verlor und sich hernach weinend in sein Schicksal stürzte ohne noch einmal echte aufbäumende Reaktion zu zeigen. Ja, Kamerun wurde klar geschlagen, aber das war schon keine richtig überzeugende Leistung. Man bekam nie echte Dominanz in ein Mittelfeld, in dem mit Rakitic, Modric und Kovacic internationale Superspieler auftraten, aber sie konnten als Trio nicht gegenhalten, und die zweite Reihe hinter dem Mittelstürmer hatte keinen Punch.

Kamerun war die befürchtete Katastrophe. Ich hätte fast geschrieben, die „erwartete“ Katastrophe, nachdem ich sie im Testspiel gegen Paraguay als komplett inhomogene Mannschaft erlebt hatte, aber dann berappelte man sich in der Vorbereitung doch noch und sah wie ein potenzielles, wenn auch unwahrscheinliches dark horse aus. Nada.

Da war nichts. Es gerüchtelte von Streitereien, einem entmachteten Coach, einem bocklosen Stürmerstar Eto’o (welch Überraschung…) und einem Kurzzeitcoach auf Urlaubstrip. Kamerun zeigte nur phasenweise den Willen, sich gegen das Unheil zu stemmen, fiel aber dann spätestens nach dem ersten groben Patzer, der zu Rückstand führte, in sich zusammen, bei der zweiten WM en suite. Kamerun ist als afrikanisches Team immer eins meiner Favoriten, aber so blind kann niemand sein, noch länger „Credit“ für diese Mannschaften aufzubringen. Schade, aber irgendwann muss man es einsehen.

WM-Halbzeitfazit 2014

Halbzeit der WM nach 32 von 64 absolvierten Partien, und das sportliche Fazit ist fast uneingeschränkt positiv. Es wird von fast allen Mannschaften flott nach vorne gespielt, es wird nicht versteckt. Die Teams mit braunem Verdauungsendprodukt in der Unterhose werden bis auf wenige Ausnahmen bestraft, während mutige Mannschaften mit Offensivdrang sich mit tollen Vorstellungen und guten Ergebnissen beschenken.

Eine 1:0-Führung scheint diesmal kein in Stein gemeißelter Punktgewinn zu sein, so viele Comebacks wie es bisher gab. Die Schiedsrichterleistungen pendeln sich trotz einer Handvoll übersehener Elfmeter auf für WM-Verhältnisse gutem Niveau ein. Nickligkeiten und rotwürdige Tretereien bleiben uns ebenso erspart wie allzu viel Theatralik und sterbende Schwäne. Die Stimmung in den Stadien wirkt trotz einiger gelichteter Ränge ausgelassen. Das Klima beeinflusst Partien, aber nicht so dramatisch wie angenommen.

Eigentlich alle, mit denen ich gesprochen habe, bescheinigen diesem Turnier, das beste ever zu sein. Diese Lobeshymnen kommen freilich, bevor es mit den Ausscheidungsspielen richtig losgeht – und erst die Qualität dieser wird das Turnier wirklich auf lange Sicht definieren, aber Baby: Ich fühle mich bis jetzt prächtig unterhalten.

Die positivsten Erscheinungen bisher:

Frankreich. Ich hatte den Franzosen in der Preview ja den Titel zugetraut, und bisher sind die Auftritte souverän gewesen. Die hondurianischen Holzhacker mit geduldigem Kombinationsspiel aufgebohrt, die Schweizer mit wuchtiger Offensive und faszinierendem Konterspiel zerlegt. Man zeigte in beiden Spielen unterschiedliche Offensiv-Formationen (Spiel 1 mit Griezmann, Spiel 2 mit dem bulligeren Giroud), und beide formationen funktionierten.

Kolumbien. Die Gegner waren mit Griechenland und der trägen Elfenbeinküste bisher keine Knaller, aber die kolumbianischen Vorstellungen umso massiver. Man hat wenig Mittel über die Flügel, weil auch die Flankenmänner wie Cuadrado schnell nach innen ziehen, aber man spielt schnell, direkt, in bester Dortmund-Manier die Gegenstöße aus. Guter Geheimtipp.

Algerien. Ohne zu wissen ob und in welcher Form es die angebliche Revolte in der Halbzeit des Belgienspiels wirklich gab, gefällt mir der Wille dieser spielerisch eher limitierten Mannschaft sehr, sehr gut. Gegen Korea nutzte man die koreanischen Abwehrbolzen mit einem Selbstverständnis aus, das ich den Algeriern in den optimistischsten Szenarien nicht zugetraut hatte. Das Achtelfinale ist nicht außer Reichweite.

Mexiko. Geile Fans, tolles, kohärentes Team mit großer Laufleistung, aber wie gewohnt zu spröde in den Gegenstößen. Lieferte gegen Brasilien einen packenden Kampf in einem 0:0 vom ganz obersten Regal, und wird mit einem Entscheidungsspiel ums Achtelfinale heute Abend gegen Kroatien belohnt.

Costa Rica. Uruguay (!) mit spielerischen Mitteln nach Rückstand besiegt, die Italiener in einem Hitzespiel sensationell 1:0 geschlagen – in der Gruppe der Weltmeister löste der größtmögliche Außenseiter schon nach zwei Spielen das Achtelfinalticket. Diese Jungs sind natürlich limitiert im 1-vs-1, sie sind nicht in der Lage, einen Konter schnell auszuspielen, und sie müssen aufwändiger spielen als andere Mannschaften, aber hier ist unbändiger Wille drin – ein Wille, der zurecht belohnt wurde.

Die Enttäuschungen:

Argentinien. Die unterirdischste Mannschaft bis dato, und da sind Russen und Griechen mit eingeschlossen. Gegen Bosnien eine schandhafte 5-3-2 Nicht-Vorstellung geliefert, und im zweiten Spiel vom Iran fast an die Wand gespielt. Es kuriseren Gerüchte, dass Kapitän Messi dem Coach Sabellas die Aufstellungen diktiert – aber ich tue mir schwer, die Wörter „Messi“ und „Lautsprecher“ im selben Kontext zu verwenden. Fakt ist aber, dass die taktischen Einstellungen der Gauchos bizarr waren, dass Messi sich kaum am Spiel beteiligt, dass Argentinien so gut wie keinen Esprit und keine Ideen in der Offensive andeutet, und dass im Angriff auch so gut wie nix außer Einzelaktionen geboten werden. Kann eine Mannschaft sich innerhalb eines Turniers finden? Natürlich, es gibt Beispiele zuhauf. Aber ein Team, das so out of sync auftritt wie Argentinien bisher? Da muss schon Gewaltiges passieren, dass das noch was wird. Immerhin ist man mit zwei Wackel-Siegen schon im Achtelfinale.

Griechenland, Russland. Zu wenig Tempo, zu wenig Mut. Die Griechen rennen wenigstens, aber wenn sie nicht über die Mitte kommen können, strahlen sie die Torgefahr von feuchtem Toastbrot aus. Die Russen spielen wie eine Capello-Mannschaft schon immer spielte.

Fernost. Ich hatte Japan und Korea beide ins Achtelfinale getippt, aber bislang nada. Die Japaner hatte ich deutlich wendiger, frischer, einfallsreicher in der Offensive erwartet. Die Koreaner hinterlassen mich ob ihrer stümperhaften Abwehrarbeit eher ratlos – was hat Hong Myung-Bo, der einstige koreanische Libero, mit dieser bei der letzten WM so disziplinierten Mannschaft da veranstaltet?

Belgien. Man könnte sagen, gut, wer gegen Russland nur drei ernsthafte Minuten spielen muss und trotzdem gewinnt, hat Qualität. Man kann aber auch auf die elanlosen Vorstellungen verweisen, und darauf, dass der belgische Geheimtipp nicht zündet. Die Einser-Formation im Angriff mit De Bruyne auf rechts und Lukaku im Zentrum ist ein Ausfall. Hazard ist noch nicht in der WM angekommen, und das Team wirkt als Komplex noch immer etwas führungslos.

Es gäbe mehr Teams mit spannendem Momentum, über die man schreiben könnte. Über einige wie Chile, Spanien oder Brasilien habe ich mich schon ausgelassen. Für andere wird die Zeit noch kommen.

Abgesang des Weltmeisters: Spanien – Chile | Gruppe B

Die Spanier konnten viele Jahre lang nervtötend sein. Sie konnten wunderschön anzuschauen sein, aber sie konnten genauso gut das Spiel zerstören, erdrücken mit Ballbesitzfußball der unansehnlichen Sorte. Sie konnten sich aber immer auf eines verlassen: Ihr Defensivverbund würde halten. Er würde in den acht, neun Minuten reiner Spielzeit, die der Gegner den Ball kontrollieren würde, keine Böcke schießen, und so konnte man jedes Spiel mit 1:0 gewinnen.

2014 war anders. Spanien offensiv war so anders nicht. Der beste spanische Fußballer aller Zeiten, Xavi, war, wie schon in der Vorschau angedeutet, ein leichter Bremsklotz, aber kein echter Problemfall. Auch andere Protagonisten wie Iniesta, Pedro oder Busquets waren nicht „schlecht“. Sie waren einen kleinen Zacken weniger beweglich, ineffizienter, langsamer als früher. Die Bindung zum neuen Stoßstürmer Diego Costa (zum dümmsten Zeitpunkt die Nation gewechselt) funktionierte nie so wirklich, aber die Chancen gab es trotzdem, auch für Costa.

Spanien war einen kleinen Tick farbloser in der Offensive. Nur alle 8ter statt alle 10ter Pass ein Fehlpass. Der Ball nach Fallrückzieher zwei Zentimeter daneben statt – wie vor vier Jahren – zweimal vom Pfosten in den Kasten. Und so weiter.

Die wahren Probleme hatte man diesmal hinten. Angefangen vom völlig entnervten Torwart Casillas (José Knows) hin zu den ungewöhnlich hölzrigen Innenverteidigern. Die Kacke dampfte vor allem dort, wo man sich selbst ins Knie schoss bzw. wo clevere Gegner mit schnellem bzw. wuchtigem Spiel die erkennbaren Schwachstellen auf brutalste Art und Weise offenlegten. Aber Iker hat die Champions League gewonnen. Also muss Iker doch ein Großer sein.

Die Ära Spanien war eine große. Für mich war sie nicht nur deswegen eine große, weil sie dreimal zum Titel führte. Dafür brauchst du auch viel Glück. Spanien brauchte zweimal ein Elfmeterschießen. Spanien hatte gegen Paraguay Glück. Robben schoss fünf Minuten vor Schluss den Tormann an. Ronaldo verschoss freistehend. Kroatien hatte die Spanier liegen. Aber du darfst Glück beanspruchen.

Viel faszinierender an den Spaniern fand ich, dass sie in den sechs Jahren ihrer Regentschaft in den großen Turnieren nie, wirklich nie, aus dem Spiel waren. Sie bestimmten immer die Schlagzahl, liefen nie Gefahr, ernsthaft die Kontrolle zu verlieren. Das ist ganz groß. Zum Teil war es groß, weil Gegner in Ehrfurcht erstarrten. Das hat diesmal gefehlt. Der Gegner traute sich, den Spaniern missglückte alles, man war drei Prozent schwächer.

Spanien wird damit ein weiteres Mal ohne Playoff-Gegentreffer heimfahren, nur diesmal wird das nicht zum Titel reichen.

Der gefühlte Nachfolger stand heute auf dem Platz. Die Chilenen wechselten diesmal erst in der Schlussphase in ein klassisches 3-3-1-3 des alten Schlags, als es gar nicht mehr brauchte. Sie hatten mal wieder fantastische Spielzüge. Sie waren diesmal auch kalt im Abschluss, kälter als noch vor vier Jahren. Sie waren giftig im Gegenpressing. Ab 15m um den Strafraum waren das Kletten, die sich an den Gegner hängten und nicht mehr losließen. Das war eine runde Gesamtleistung. Die Frage wird nun sein, ob oder wie lange sie die Pace und dieses aufwändige Spiel halten können. Noch eine, zwei, drei Runden? Noch vier Runden?

Chile wird nächsten Montag gegen Holland um den Gruppensieg spielen. Weil man den Weltmeister nur 2:0 demontierte anstelle ihn abzuschießen, wird Chile einen Sieg brauchen, dem Torverhältnis sei Undank. So oder so – Brasilien wird sich hinterher den Gegner aussuchen, und sie werden sich überlegen, ob sie tatsächlich gegen die Chilenen spielen wollen.

Das orangene Fragezeichen: Niederlande – Australien | Gruppe B

Munteres Spielchen, das von seinen vielen Toren, weniger von der Qualität des Gebotenen lebte. Holland gewann 3:2 nach einem merkwürdigen Spielverlauf, aber es bleiben viele Fragen offen.

Holland hat bereits acht Treffer erzielt, erstaunlich für ein Team mit dieser Spielweise. Spielerisch ist das, was Holland mit seinem gewöhnungsbedürftigen 5-3-2 anbietet, ähnlich blass wie das aspetische 2010er-Team, das es ins Finale schaffte. Geregelter Spielaufbau findet eigentlich nicht statt, viele Bälle werden einfach lang über das Mittelfeld hinweg nach vorne gedroschen, wo die famosen Robben und Van Persie schon was damit machen. Weniger Van Gaal geht für ein Team nicht, das ausgerechnet von Van Gaal gecoacht und eingestellt wird. Wenn dann ein Sneijder auch noch einen gebrauchten Tag erwischt – wie heute – sieht das rein qualitativ schonmal zum Davonlaufen aus.

Wie schießt Holland also seine Tore? Dreierlei: Mit Einzelaktionen, mit Tormannfehlern, mit Stellungsfehlern beim Gegner. OK, viele Mannschaften machen ihre Tore so, aber du kannst im Prinzip jeden der niederländischen Treffer 2014 bisher so einordnen.

Beim 1:0 rennt der Sprinter Robben seinem geistig abwesenden Gegenspieler auf und davon und muss froh sein, den Eigensinn per Treffer belohnt zu bekommen. Beim 2:2 hilft der Verteidiger am rechten unteren Bildrand mit seinen wenig motivierten zwei Schritten nach hinten um die Abseitsfalle aufzuheben – aber trotzdem clever gespielt und trocken abgeschlossen. Beim 3:2 war’s der Tormann.

Es geht mir ähnlich wie nach dem Spanien-Spiel: Holland zeigt bisher zu wenig Variabilität. Heute zeigte Holland sogar noch zu wenig Initiative. Ist es klug, so kraftsparend zu spielen? Vielleicht. Aber wer sagt uns, dass Holland mit seiner unerfahrenen Abwehr und mit seinen Holzhackern im Mittelfeld überhaupt jemals wird mehr anbieten können?

Zu den Australiern: Ehrenwerte Vorstellung. Die Socceroos sind spielerisch natürlich limitiert, aber man wirft viel Einsatz in die Waagschale und schaffte es nun zum zweiten Mal mit relativ einfachen Mitteln, einen scheinbar klar überlegenen Gegner in Bedrängnis zu bringen. Dieser olle Cahill da ganz vorn drin hat zwar einen an der Waffel, sich seinen Arm so zu zerstören, springt aber mit seinen 1,78m in die Sphären eines Cannavaro, und machte beim 1:1 per Direktabnahme eines der Tore des Turniers. Australien wird mit höchster Wahrscheinlichkeit ausscheiden (sollte Spanien hernach nicht gewinnen, ist man raus), aber man scheidet mit erhobenem Kopf aus.

Zum Elfmeter: Typische Situation. Die Armbewegung ist „natürlich“. Der Mensch ist in dieser Bewegung nicht so veranlagt, dass er beide Hände angelegt haben kann. Er kann auch nicht beide Arme nach vorne schmeißen. Es ist eine natürliche Bewegung, aber die Hand blockiert logisch die Flugbahn des Balles – entscheidend, und vom Rumpf des Körpers abgewiesen. Scheiß-Situation. Ein Schiri pfeift Elfer, der andere nicht. Ein Amateur-Ref, der mit mir schaute, meinte, er hätte den Elfer nicht gegeben. Das Ärgernis liegt hier in der in der unklaren Regelauslegung – da sind die Verbände gefragt, eine einheitlichere Lösung zu finden.

Caipirinha zum Schlager des Tages: Brasilien – Mexiko | Gruppe A

Das war dann mal ein 0:0 der richtig geilen Sorte. Brasilien – Mexiko war die bislang intensivste Partie des Turniers, vielleicht auch die beste, ein Spiel, dem man seinen Austragungsort (die Schwüle Fortalezas) nur sehr bedingt anmerkte, ein mitreißendes Spiel mit aufopferungsvoll kämpfenden Mexikanern, mit einer brasilianischen Mannschaft, die erneut nur in Spurenelementen ihre Offensiv-Wucht andeutete, aber wenn, dann prüfte sie Keeper Ochoa auf das Äußerste – und Ochoa bestand mit Bestnote. Ein Spiel, dem nur der Orgasmus in Form eines Treffers fehlte. Aber so wirklich verdient wäre der nur im schön aufgeteilten Doppelpack gewesen, als Remis.

Gehen wir sie der Reihe nach durch. Zuerst die Brasilianer. Gleiche Formation von Scolari wie gegen Kroatien, außer dass der verletzte Hulk durch #16 Ramires auf dem rechten Flügel ersetzt wurde – ein Move, der bizarr anmutete und auch nur schief gehen konnte. Zur Pause wechselte Scolari dann auch schon den quirligeren, aber heute glücklosen Bernard ein. Brasilien wirkte heute auch flexibler und noch mehr auf Stabilität bedacht, mit einem Sechser-Pärchen Gustavo/Paulinho, das seinem Namen fast nicht mehr gerecht wurde, so häufig half Gustavo als Art Libero in der Dreierkette aus.

Brasilien hatte Probleme mit dem mexikanischen Pressing, aber Brasilien hatte auch wieder diese charakteristischen eigenen Druckphasen, und die hatten es verdammt noch mal in sich: Wenn diese Armada dann mal für drei, vier Minuten auf dich zurauscht und dich belagert, entweder aus allen Rohren feuert oder mit Verve drei Ballstaffetten zum Abschluss durchzieht, wird dir Angst und Bange. Ich war nie ein ganz großer Fan der brasilianischen Spielweise, aber diese Minuten sind selbst im Sofa schweißtreibend und gehören zu den intensivsten Momenten, die Fußball bieten kann.

Brazil schaffte das heute sogar trotz eines erneut indisponierten Mittelstürmers Fred, der wie schon gegen Kroatien keine Bindung fand und mit Pfiffen verabschiedet wurde. Sein Backup Jo agierte sichtlich tiefer, fast als halber Zehner, und das wirkte sich aus.

Die Mexikaner lauerten, sie guckten sich immer wieder die brasilianischen Offensivaktionen an, warteten, um immer im richtigen Moment dazwischenzuspringen und zig nervtötende Ballgewinne zu provozieren. Was die #6 Herrera heute lieferte, war ganz großer Sport. Mexiko presste zwischendurch immer wieder auch ganz vorn, und erst dachte ich mir, sie nutzen die brasilianischen Ruhepausen aus – aber nein: Sie zwangen die Brasilianer sogar zu diesen Phasen! Sie kombinierten sich immer und immer wieder gemächlich gen Tor, und schlossen mit einer Serie an Superschüssen ab.

Das Mittel, das ich schon nach dem Kroatien-Spiel gefordert hatte – Schüsse auf den Kasten vom nicht fangsicheren Julio Cesar – sie haben es genau studiert und auch so gesehen. Sie haben nur zu selten den Kasten getroffen, auch wenn es oft knapp war. Richtig herausgespielte Chancen hatten die Mexikaner zwar wenige, aber sei’s drum: Sie zeigten allein mit ihrer mannschaftlich geschlossenen Leistung, mit ihrem sehr druckvoll ausgelegten 5-3-2 bzw. ruhig auch 3-5-2, wie man Brasilien an die Wand nageln kann, wie man ihren Spielaufbau mit schnellen Ballgewinnen stören oder zerstören kann.

Der Mann des Tages war trotzdem der neue Dudek, Goalie Ochoa, mit famosen Reflexen und Paraden, im Stil eines Kahn (Neymar-Kopfball, HZ 1 / Silva-Kopfball, HZ 2), aber auch im Stil eines Hockey-Goalies (Neymar-Drehschuss, HZ 2). Ochoa rettete am Ende den Punkt gegen einen Gegner, den man sich super ausgeguckt hatte, der aber trotzdem fantastische Chancen hatte.

Der Schiri. Erstklassige Vorstellung. Gibt überhaupt nichts zu kritisieren, selbst den Marcelo-Elfer gab er nicht. OK, ein Kritikpunkt: Silva hätte für sein rüdes Foul locker auch Rot sehen können, wegen der Härte, aber auch wegen der verkappten Notbremse.

Das Publikum. Die Pfiffe ob des enttäuschenden (aus Brasilien-Sicht) Ergebnisses hielten sich in Grenzen, ja eigentlich war fast mehr Jubel hörbar. Es bleibt aber weiterhin ein Publikum, das bei mir extrem zwiespältige Gefühle auslöst. Es ist ein rein weißes Publikum. Ich meine nicht, dass das überraschend kommt… aber irgendwie doch. Das ist kein brasilianisches Publikum. Das ist struktureller Rassismus, zur Schau gestellt beim größten Ereignis im erfolgreichsten Land des Fußballs: Ganze Bevölkerungsschichten bleiben draußen. Weiße brasilianische Unis. Jetzt auch weiße brasilianische Stadien.

Belgien – Algerien | Gruppe H

Die Algerier kann man schnell abhaken: Das war eine sehr clevere Defensivleistung aus einem recht klaren 4-4-2. Algerien presste nicht grundsätzlich, ging aber lange Zeit extrem bissig drauf, wenn der ballführende Spieler in der Nähe war – und hatte lange Zeit gegen ein geistig nicht präsentes Belgien Erfolg damit. Weil man vom Gegner quasi einen Elfer geschenkt bekam – der algerische Stürmer hätte große Schwierigkeiten gehabt, den Ball vor dem Foul überhaupt noch zu erlaufen – führte man aber lange 1:0.

Zum allseits gelobten Geheimfavoriten Belgien: In etwa mit sowas wie der 1. Halbzeit hatte ich gerechnet. Bei aller Liebe für dieses Team, in jedem Tippspiel habe ich ein müdes 1:0 für das Auftaktspiel eingetragen. Ich hatte mit minimum einer Viertelstunde Eingewöhnungsproblemen gerechnet – schließlich ist es das erste Turnier dieser jungen Mannschaft, die kulturell so vielschichtig ist, und die dann gleich noch als monstermäßiges dark horse ins Turnier gehen muss.

Die Lethargie dauerte länger als die erwartete Viertelstunde. Es war sogar zwischendurch soweit, dass sich Belgier gegenseitig anpflaumten (z.B. bei einem „vergessenen“ Querpass von Hazard auf einen freistehenden Lukaku). Probleme machte der inexistente De Bruyne, und der sichtlich genervte Hazard, aber auch Lukaku fand überhaupt keine Bindung.

Nach der Pause reagierte Wilmots. Belgien kam nach der Kampfschweinrede erstmal motivierter aus der Kabine. Bald ersetzte der blutjunge Origi von ManUnited Lukaku, und es wurde bei den Belgiern immer flüssiger. Sie schraubten lange, bohrten, versuchten, diese nicht einfach zu bespielenden Algerier zu durchbrechen. Der wahre Champ-Wechsel kam nach etwa einer Stunde, als der wuschige Fellaini reinkam und gleich mal mit seiner Präsenz als Kopfballspieler auffiel, immer wieder in den Strafraum ging und schließlich auch den Ausgleich setzte.

Der Siegtreffer fiel sogar aus einem verkappten Gegenstoß, einem Mini-Konter der Belgier in einer sehr feinen Aktion. Es war letztlich ein verdienter Sieg, mal wieder ein gedrehtes Spiel, ein Spiel, aus dem die Belgier trotz der insgesamt blassen Leistung vieles mitnehmen können. Die drei Punkte natürlich. Aber auch die Gewissheit, im Turnier angekommen zu sein. Die Gewissheit, dass man zwar wohl nicht die homogenste Truppe hat, dass man sich aber eingrooven kann. Dass man Geduld gezeigt hat, Stellschrauben gedreht hat.

Insofern ist für diese Mannschaft glaube ich schon wichtig, dass man nicht nur eine Reaktion gezeigt hat, sondern dass man die Reaktion auch im Ergebnis sieht und dass man gewonnen hat. Die Belgier haben insofern einen guten Auftakt mit Sternchen abgeliefert.

WM-Caipirinha 2014: Ghana – USA |Gruppe G

Die USA gewannen, aber deswegen in eine Lobeshymne verfallen würde ich nicht: Es war eine insgesamt maue Vorstellung der Amerikaner, die weniger zu einem insgesamt attraktiven Spiel beitrugen als die unterlegenen Ghanaer. Beide amerikanischen Tore waren vom restlichen US-Spiel losgelöst: Ein früher Treffer nach 31sek nach einer der wenigen Kombinationen, dazu ein Kopfstoß nach Ecke in der 85. Minute.

Die USA legten sich nach dem schnellen Treffer zwar nicht auf die faule Haut, sondern kämpften weiter, aber sie versuchten nur mehr sporadisch, wirklich nach vorn zu spielen. In der Vorwärtsbewegung ließ Klinsmann dabei eine Art 4-1-3-2 spielen, mit dem Abräumer Beckerman vor der Viererkette und einem Sturmtandem Dempsey / Altidore. Der Ballbouncer Altidore musste dabei schon in der ersten Halbzeit mit Muskelproblemen raus.

Nach hinten sah das US-Spiel wie ein klassisches 4-4-2 aus, wobei sie vor allem über ihre linke Seite anfällig waren: Dort agierte Damarcus Beasley als Linksverteidiger. Beasley hab ich glaube ich seit zirka zehn Jahren vom Schirm verloren, aber damals war er noch ein Stürmer. So sah das auch gegen Ghana aus: Ein defensiv überforderter Beasley sah ungefähr 20 Flankenläufe über seine Seite, und er wurde größtenteils von Opare und Atsu verspeist. Auch der nominell als zweite Spitze neben Gyan aufgestellte Jordan Ayew zog immer und immer wieder rechts raus, aber trotz dieses Scheunentors kam von Ghana ehrlicherweise zu wenig.

Ghana war die dominante, klar bessere Mannschaft, aber sie erwies sich als nicht abgezockt genug in der Offensive. Man schoss viel zu oft zu früh und traf in gefühlt 20 Schüssen nur eine Handvoll Male überhaupt das Tor – Tim Howard musste selten wirklich eingreifen. Trotzdem langte es zum Ausgleich wenige Minuten vor Schluss, und es fühlte sich dann wie ein angehender Sieg an, ehe eine US-Ecke (die von Ghana selbst verschuldet wurde) den Spielverlauf auf den Kopf stellte.

Die USA haben nicht überzeugt. Sie sind trotz des Auftaktsiegs keine g’mahnte Wiesn. Sie sind spielerisch fürchterlich limitiert, mit einem „Spielgestalter“ Michael Bradley, der eigentlich nix kann, mit dem man ihn in den Rang eines oberklassigen Spielmachers im Weltfußball heben könnte. Nicht ausgeschlossen, dass die Klinsis da ihre einzigen Punkte geholt haben. Für Ghana wird es am Samstag schon eng gegen Deutschland. Schlimmstenfalls ist in dieser Gruppe auch nicht auszuschließen, dass ein einziger Sieg zum Weiterkommen reicht – und gegen Portugal ist Ghana zumindest auf Augenhöhe.

WM-Caipirinha 2014: Nigeria – Iran | Gruppe F

Das erste Unentschieden der WM 2014, und das erste 0:0 der WM als Reminiszenz an die dunkle Vorrunde der WM 2010: Nigeria gegen Iran war… kein so schönes Spiel. Während des Spiels erinnerte ich mich allerdings auch daran, dass man unterm Jahr zu sehr verwöhnt wird. Du hast die Wahl zwischen 1000 Spielen, und du wirst in 99% der Fälle Bayern, Dortmund, Liverpool oder Napoli wählen, bevor du dir freiwillig Hamburg, Osasuna oder Fulham reinziehst. Daher ist es auch mal ganz erfrischend, einen eher schwachen Kick wie diesen serviert zu bekommen, und sei es nur, um sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, was für eine fantastische Mannschaft die Deutschen eigentlich haben.

Ich schweife ab. Nigeria war enttäuschend, keine Frage. Ich hatte dieses Team viel, viel besser in Erinnerung, und beim Afrikacup vor einem Jahr waren sie der einzige richtige Lichtblick mit wirklich gutem Offensiv-Fußball. Von diesem Flankenläufen, diesen Cuts nach innen und diesen wuchtigen Abschlüssen war heute wenig bis nichts zu sehen.

Der Iran stand hinten drin und tat fürs Spiel genau nichts. Man hatte gelegentliche Vorstöße, die sogar organischer ausgespielt waren als jene der Nigerianer, aber es bleibt das Gefühl, dass das Team hier in die Partie ging mit dem Mourinhoschen Ziel, ja bloß keins zu kriegen, und im Glücksfall sogar noch eins mitzunehmen. Mehr war da nicht, und es wird sich gegen Bosnien und Argentinien befürchtungsweise nichts ändern.

Aber, Baby nochmal: Nigeria. Man las häufig davon, dass Stephen Keshi in der Mittelfeldzentrale mit Onazi und Mikel keine Lösung fand, die beiden Kreativen gescheit einzusetzen – und das sah man. Eintausendundein lange Bälle auch nach dem x-ten Beweis der Ineffizienz, und immer wieder versuchten sie es. Und wie so oft bei afrikanischen Teams, wo die Emotionen dann mitspielen, wurde es immer stümperhafter, und einfache Zuspiele scheiterten, und einfache Bälle wurden nimmer gestoppt.

Die Stürmer würden passen. Moses und Musa sind pfeilschnelle Granaten, Emenike kann durchaus einen Angriff tragen, wenn er zumindest Platz kriegt. Aber von hinten kam nichts. Ein Odemwingie agierte nach seiner Einwechslung wie schon in manchem Testspiel als verkappter Spiel-Aufbaugestalter, aber das konnte letztlich nicht funktionieren.

Schade. Ich hatte mehr erhofft von einer meiner absoluten Lieblingsmannschaften. Nicht ausgeschlossen, dass man gegen ein proaktiveres Bosnien eher zum Erfolg kommt, aber Stand heute muss man trotz des ebenso enttäuschenden Parallelspiels letzte Nacht konstatieren, dass Bosnien trotz Pleite wie einer der Sieger des Spieltags aussieht.

Zum Schluss die eine Klammer: Einen Treffer erzielten die Nigerianer. Eigentlich. Ein Stürmer gedeckt von zwei Iranern köpfte den Ball in den Kasten. Aber weil der Torwart war in den Bulk gesprungen, ohne Chance auf den Ball, und es gab… Stürmerfoul, natürlich. Grande Van Persie.