Sezierstunde 2024: Die NFL-Teams am Scheideweg (1)

Der nächste Teil des NFL-Offseason-Zwischenfazits, wenige Tage bevor der NFL Draft 2024 beginnt. Heute: Der erste Wisch an Teams, bei denen sich in der kommenden Monaten zeigen wird, ob die zukünftige Ausrichtung nach oben oder nach unten geht.

Cleveland Browns

Die Browns haben mit dem Trade für Denvers Jerry Jeudy versucht, ihren Receiver-Corps zu komplettieren, und es trotz wachsender Salary-Cap-Probleme geschafft, das Herzstück ihrer Defense zusammenzuhalten.

Jeudys neuer Vertrag wirkt etwas teuer – aber Alternativen waren rar (kein 1st Rounder, nur ein später 2nd Rounder), und Zeit bleibt dem Regime in Cleveland eh so gut wie keine mehr, um das Schicksal der Mannschaft zu wenden.

Die Defense lese ich mit QuintonJefferson-statt-JordanElliott und dem LB-Duo Jordan Hicks/Devin Bush statt Sione Takitaki/Anthony Walker als Nullsummenspiel; DT Shelby Harris und EDGE Zadarius Smith gehalten zu haben, geht als Gewinn durch.

In die Verpflichtung von Jameis Winston sollte man nicht zu viel hineininterpretieren, auch wenn er ein Upgrade gegenüber dem Oldie Joe Flacco darstellt: QB1 bleibt schon aufgrund seines monströsen Vertrags erstmal Deshaun Watson.

Dass der noch einmal zurück zu seiner sportlichen Blüte um 2018-2020 findet, wird mit jedem Jahr unwahrscheinlicher – gleich wie es jedes Jahr schwieriger wird für die sportliche Leitung um GM Anthony Berry, eine vernünftige Infrastruktur aufrecht zu erhalten, geschweige denn weiter auszubauen (seit Jahren vermisst man z.B. schmerzlich 1st Round Picks infolge des Trades für Watson). 

Unter diesen Vorzeichen ist die bisherige Offseason mit Jeudy als Ergänzung im Receiver-Corps als Gewinn zu betrachten. Mehr war realistisch betrachtet nicht machbar. Jetzt liegt das Schicksal in Watsons Händen.

Jacksonville Jaguars

Der Kollaps der Jaguars letzte Saison erhielt nur deshalb nicht mehr Aufmerksamkeit, weil es die Eagles gab und sich für Jacksonville eh kein Schwein so richtig interessiert. Das Rookie-QB-Window von QB Trevor Lawrence schließt sich in einem Jahr. Wenige Franchises haben in Punkto Support-Cast fürs Rookie-Window einen so erbärmlichen Job gemacht wie die Jags. Auch die laufende Offseason gibt wenig Grund zur Hoffnung auf Besserung.

Die Personalie Calvin Ridley gibt einen ganz guten Eindruck, warum GM Trent Baalke seit vielen Jahren zu den schlechten Vertretern der GM-Zunft zählt. Ridley kam vor zwei Jahren während seiner Sperre via Trade aus Atlanta und lieferte dann für ca. 11 Mio Gehalt eine typische Calvin-Ridley-Saison ab: knapp über 1000yds, einige Big Plays zwischen genug Bolzen, die offenlegten, warum Ridley näher an der Schwelle zum WR2 als zu den Elite-Receivern gezählt wird.

Trotzdem schaffte es Baalke nicht, Ridley zu halten (dieser unterschrieb in Tennessee). Er wurde durch Gabe Davis ersetzt, eine schwächere, eindimensionalere Version Ridleys. Baalkes Offseason-Aufgabe Nummer 1, 2 und 3 war es, Lawrence einen verbesserten Receiving-Corps zur Verfügung zu stellen. Mission failed. Stattdessen wurde die Pass-Catcher-Gruppe schwächer. Und obendrauf fehlt den Jags im Draft der 3rd Rounder aus dem Trade für Ridley.

Mit etwas Wohlwollen finden wir immerhin leichte O-Line-Verbesserung, sollte der neue Center Mitch Morse zur Abwechslung mal fit bleiben. Der Trade für Backup-QB Mac Jones ist nicht der Rede wert und kann getrost ignoriert werden.

Defensiv zahlte Baalke EDGE Josh Allen einen monströsen Vertrag: um die 28 Mio/Saison, mit fast 120 Mio. an expected contract value. In der Secondary verlieren die Jags CB Darious Williams und Safety Rayshawn Jenkins. Dass der fehleranfällige Darnell Savage diese Abgänge kompensieren kann: Zweifelhaft.

Baalkes Stümperei ist ein Lehrstück, wie NFL-Roster-Building nicht geht. Kein Verständnis für Positional Value. Kein Plan von Cap-Management. Kein Händchen für die Feinheiten des Drafts.

Baalke hat das Kunststück zustande gebracht, sein Team schon vor Ablauf des QB-Rookievertragszyklus in Grund und Boden zu managen. Das haben noch nichtmal die Chargers mit Justin Herbert auf die Reihe gekriegt. Note F wäre ein zu gütiges Urteil.

Miami Dolphins

Auch die Dolphins haben einen unglücklichen Rebuild um ein QB-Rookie-Fenster hinter sich. Ihr Problem begann im Gegensatz zu Jacksonville allerdings nicht erst nach der Einberufung des QBs, sondern schon mit dessen Einberufung. 2020 gab es vier 1st Round QB-Picks: Joe Burrow, Tua Tagovailoa, Justin Herbert, Jordan Love. Miami hat den zweiten gewählt und damit den viertbesten gezogen.

Tua ist keine Graupe, aber um ihn herum zu bauen bedeutete einen gewissen Start-Nachteil im Vergleich zu einem richtigen Top-QB wie Burrow, Herbert oder eben auch Lawrence (Draft 2021). Es war ein Nachteil, der nur vier Jahre später schnurstracks ins Cap-Desaster führte, ohne dass Miami auch nur ein einziges Playoffspiel gewonnen hätte.

Die laufende Offseason war daher geprägt vom unvermeidlichen Umbruch. CB Xavien Howard war eine „Cap-Casuality“, aber sein Abgang ist noch verkraftbarer als der von DT Christian Wilkins, dessen Vertragsvorstellungen nicht mit der Salary-Cap in Einklang in Einklang zu bringen waren – wie bitter bei einem Pro-Bowl-würdigen 26-jährigen Star auf einer Premium-Position!

Auch Depth-Defender wie die Passrusher Emmanuel Ogbah oder Andrew Van Ginkel musste man ziehen lassen. Echte „Stützen“ waren die beiden nicht; das Fehlen solcher Spieler macht sich aber meistens irgendwann in den zweiten Halbzeiten der zweiten Saisonhälfte bemerkbar. Der neu verpflichtete CB Kendall Fuller ist zwar billiger als Howard, aber kein gleichwertiger Ersatz.

Den ganz harten Schnitt hat Miami trotzdem gemieden, wohl weil man sich mit Headcoach Mike McDaniel und dessen High-Speed-Offense noch immer Chancen auf einen Playoff-Run ausrechnet – auch wenn er im Haifischbecken AFC jedes Jahr unwahrscheinlicher wird.

Allein die Tatsache, dass Miami den aktuell fünftkleinsten Cap-Space hat, bevor der 50 Mio/Jahr-Vertrag für Tua in trockenen Tüchern ist, zeigt wie eng der Handlungsspielraum für die Dolphins auf absehbare Zeit sein wird. Unoriginelle Prognose: In spätestens zwei Jahren fliegt der Laden auseinander.

Minnesota Vikings

Bei den Vikings habe ich einen Moment überlegt, ob ich sie in die „Rebuilding-Kategorie“ stecken sollte. Ingredienzien dafür wären genug da: Die Defense steckt personell voll im Umbruch, und der aktuelle QB1 ist Sam Darnold.

Aber letztlich müssen wir davon ausgehen, dass GM Kwesi Adofo-Mensah im Draft einen Trade-Up für einen Quarterback einfädeln wird. Diesen Move bereitete Kwesi schon vor einigen Wochen vor, indem er für einen zweiten 1st Rounder aus Houston akquirierte – ein Trade, in dem Kwesi fast 30% Aufschlag zahlte, und den er nur dann rechtfertigen kann, wenn er später eingesetzt wird, um einen Quarterback zu draften. Die Frage ist damit wohl allein, ob Kwesi mit Nachdruck in die Top-4 tradet oder auf einen „billigeren“ Trade spekuliert, um erst mit einem Pick um #7 oder #8 draften zu müssen.

Und dann stehen die wichtigsten Pfeiler der Offense schon bereit: Eine grundsolide Offensive Line mit einem erstklassigen Left Tackle unter Rookievertrag (Christian Darrisaw), dazu einer der besten NFL-Receiver in Justin Jefferson, und als WR2 der vor einem Jahr in Runde 1 gedraftete Jordan Addison.

Das alles gecoacht von Kevin O’Connel, der schon bewiesen hat, dass er es drauf hat. In eine viel bessere Situation kann ein junger Quarterback nicht gesteckt werden, wenn Minnesota es schafft, einen zu draften. Wenn nicht… well: Dann hat Minnesota ein Problem.

Die weiteren Moves der Vikings habe ich schon vor einiger Zeit analysiert.

New Orleans Saints

Ich geb’s zu: „Scheideweg“ ist für die Saints eigentlich nicht die richtige Kategorie. Scheiden tut hier höchstens die Hoffnung einiger letzter verbliebener Truther, dass GM Mickey Loomis sowas wie den Heiligen Gral des Cap-Managements gefunden hätte.

Loomis ist ein Cap-Wurstler, kein Team-Builder. Er hat die Saints schon vor Jahren in ein Cap-Fegfeuer hineingeführt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Es besteht noch nicht mal die Option für einen ganz harten Bruch!

Die laufende Offseason war mal wieder Saints/Loomis-Klassiker: Eintausend Restructions, die man Steigbügelhaltern wie Adam Schefter als große Cap-Wizardry verkaufen konnte um den Schein zu wahren, reduzierte Anzahl an namhaften Abgängen (QB Jameis WinstonWR Michael Thomas, Safety Marcus Maye), und mittendrin der eine neue große Name als Demonstration, ja überhaupt kein Problem mit dem Salary-Cap zu haben (Chase Young für ein Jahr, siehe 2023: Derek Carr).

Die Saints bleiben damit wie immer halbwegs wettbewerbsfähig, aber zu Kosten einer unaufhaltsam ausblutenden Ersatzbank. Das ist der richtige Weg, um als GM in einer ambitionslosen Franchise seinen Job zu behalten. Für alles andere ist es der falsche Weg.

2 Kommentare zu “Sezierstunde 2024: Die NFL-Teams am Scheideweg (1)

  1. Was die Saints angeht, gehe ich davon aus, dass wir das letzte Jahr erleben in dem man noch einmal so eine ins Nichts führende Offseason erleben. Aus meiner Sicht werden die Falcons die Division klar gewinnen und dahinter Tampa sein. Die Panthers werden stärker sein und als wird dazu führen, dass die Saints einen Record bei 6-11, 7-10 oder 8-9 (maximal) haben werden.

    D.h. Draft Pick um die 8-10 in einer vermutlich mäßigen QB Class mit Cap Problemen und einer Mannschaft, die zwar schon Cornerstones hat, aber keine Möglichkeit oben anzugreifen. Dies wird vermutlich dazu führen, dass schließlich doch der Owner erkennen wird, dass das Team in dieser Form keine große Zukunft hat.

    Wahrscheinlich müssen dann GM und HC gehen und es wird endlich feucht durchgewischt und ab in den harten Rebuild.

    Das sage ich nicht, weil ich es den Saints gönne, aber es ist einfach so was von überfällig einen Rebuild einzuleiten, dass es schon weh tut. Als Saintsfan, wäre ich echt frustriert, wissend, dass man zwar gegen schlechte Teams gewinnen kann, aber selbst die Playoffs schon nur noch mit extrem viel Glück erreichbar sind und mittelfristig keine Hoffnung besteht, dass es wirklich besser wird.

  2. So einfach ist das nicht mit dem Umbruch 2025, da reicht schon allein der Blick auf die Dead-Money bei den Saints (bei Trennung in 2025):

    Carr 50 Mio, Ramczyk 27 Mio, Jordan 23 Mio, Granderson 21 Mio, Lattimore und Ruiz je 20 Mio, Davis 17 Mio, Honey Badger 12 Mio, Hill 11 Mio, Kamara 10 Mio usw.

    Ein Teil dieser Guarantees ist Injury-Guarantee – aber trotzdem: Da ist nicht viel zu machen, als das Ding immer weiter mit Restructions in die Zukunft zu schieben.

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