Eine erste Einführung in den NFL Draft 2024

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag geht der NFL Draft 2024 es los. Die heurige Ausgabe wird in Detroit abgehalten. Eine erste Einführung.

Eine alte Draftklasse

Das Durchschnittsalter der Draft-Prospects 2024 ist älter als gewohnt – es liegt um die 23.3 Jahre. Damit ist die Klasse nicht ganz so alt wie jene von vor zwei Jahren, aber deutlich älter als alle Klassen in den zehn Jahren davor.

Die Gründe für dieses steigende Durchschnittsalter sind schnell erörtert: Spätfolgen von Covid und Frühfolgen von NIL.

Durch die Corona-Pandemie haben viele Prospects eine verlängerte „eligibility erhalten bzw. sich durch die sehr kurze Saison 2020 dafür entschieden, länger am College zu bleiben, weil ihnen ein Jahr an Entwicklung fehlte.

Und durch NIL – name, image, likeness, die erst vor wenigen Jahren geschaffene Möglichkeit für College-Athleten, mit ihrer „Marke“ Geld zu verdienen – haben zahlreiche Prospects, die nicht als sichere 1st Rounder durchgehen, die Chance, am College nicht viel weniger Kohle abzugreifen und sich ihren Feinschliff in einem weiteren Jahr an der Uni gut bezahlen zu lassen.

Wir haben heuer nicht einmal 60 „Underclassmen“ im Draft (also Spieler mit weniger als vier Jahren College-Erfahrung) – so wenige wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr (wir hatten vor einigen Jahren mehr als doppelt so viele). Der Trend dürfte sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen.

In der Bewertung der einzelnen Prospects ist das Alter somit ein besonders wichtiger Faktor. Auf vielen Positionen sind allein die Top-Prospects zwischen niedrig 21 und 24 Jahre alt. So viel besser der „alte“ Prospect auch sein mag: Wenn wir gleich drei Jahre Entwicklungsmöglichkeit berücksichtigen, könnten Teams verlockt sein, im Zweifel den jüngeren Spieler zu nehmen – oder könnten sie sich sagen “scheiß drauf, mich interessiert eh nur das Rookiefenster, und da nehme ich den reiferen Spieler, um schneller die Früchte zu ernten”?

Da in vielen vorangegangenen Drafts die Qualität durch die hochklassigen Juniors und Redshirt-Seniors (also eben die underclassmen) geliefert wurde, gilt die Klasse von 2024 hinter den besten ca. 100-120 Prospects als eher dünn besetzt.

Manche Experten behaupten sogar, dass es schon ab Pick 20 einen relativ klar erkennbaren „drop off“ an Qualität gibt – und dass besonders die späten Picks ab Mitte Runde 4 deutlich weniger Potenzial bergen als in gewöhnlichen Drafts.

Dennoch hat die Klasse Sexappeal.

Offense > Defense

Und das liegt vor allem an der Tatsache, dass sie High-End-Playmaker und damit erhebliche Star-Power aufbietet.

Es gibt vier Quarterback-Prospects, die als Top-10-würdig gelten, darunter den designierten #1 Overall Pick Caleb Williams, der es dem Vernehmen nach mit Prospects der Güteklasse John Elway/Peyton Manning/Andrew Luck/Trevor Lawrence aufnehmen kann.

Dass es mindestens vier 1st-Round-Quarterbacks gibt, gilt als gebongt. Manche Quellen haben sogar schon von fünf oder gar sechs QBs in Runde 1 gesprochen. Allerdings: Wir haben oft genug die Erfahrung gemacht, dass am Ende weniger Quarterbacks hoch gedraftet werden als ursprünglich gedacht.

Außerdem sind drei Receiver so gut wie sichere Top-10 Picks, und die Tiefe auf der Receiver-Position gilt selbst gemessen an den starken Jahrgängen seit 2019 als außergewöhnlich: Im letzten Consensus-Board von Arif Hasan sind nicht weniger als 18 Receiver in den Top-100 gerankt. Obendrauf gibt es in Brock Bowers einen seit Monaten hoch gehandelten Tight End für Runde 1.

Dazu dürften es an die sieben Offensive Tackles in der 1ten Runde werden – teilweise sind dort atemberaubende Monster mit über 2 Metern und an die 160 Kilo u haben. Rechne man die etwa 2-3 Interior-O-Liner mit rein, könnten an die 20 oder mehr Offensivspieler in der 1ten Runde gedraftet werden.

Die Defense ist diesmal eher mittelmäßig besetzt. Es gibt zwar rund vier klare 1st-Round-Passrusher, aber keinen, der wirklich ohne größere Fragezeichen kommt, und wahrscheinlich nur einen, den es sich lohnt in den Top-10 zu ziehen. Cornerback ist eine recht breite Klasse mit einigen spannenden 1st-Round-Talenten, aber verglichen mit den letzten Jahren fällt der Jahrgang dem Vernehmen nach etwas ab.

Die anderen Defensiv-Positionen sind mittelmäßig bis schwach besetzt. Defensive Tackle geht grad noch, aber weder gibt es einen Safety, noch einen Linebacker, der in der Nähe der 1ten Runde diskutiert wird.

Die Stärken des Jahrgangs liegen also auf QB, WR und OT. Passrush, Cornerback und Interior O-Line sind passabel besetzt. Sehr wenig High-end-Talent ist auf Runningback, Safety, Linebacker und Tight End (hinter Bowers) zu finden.

Quick Reminder: Teambuilding

Vielleicht ist diese Einstufung von “starken” und “schwachen” Positionsgruppen in den Consensus-Boards aber auch Folge von sich langsam auf breiterer Basis durchsetzender Erkenntnis, dass man den Positional Value nicht vernachlässigen darf – und daher wertvolle Positionen tendenziell höher eingestuft werden als früher.

Eine kurze Erinnerung meinerseits an die wichtigsten Dinge im Team-Building – wer’s im Detail haben will, muss alte Einträge wie diesen lesen:

  • Unangefochtene Leuchtturm-Position: QB
  • Premium Positionen (Tier 1): OT – EDGE – DT
  • Tier 2 Positionen: WR – CB
  • Billige Positionen (Tier 3): iOL und sämtliche Positionen, die die Detroit Lions letztes Jahr mit ihren ersten vier Picks in den Top-45 weggedraftet haben: LB – RB – S – TE

Der Gedanke hinter dieser Einstufung geht in kurzen Worten umrissen so: NFL-Teambuilding ist der Salary-Cap unterworfen, und hat damit Leitplanken, innerhalb denen die 32 Mannschaften ihre Ressourcen investieren können.

Die jungen Spieler sind nach ihrer Einberufung im Draft aber erstmal auf drei bis fünf Jahre (je nachdem, in welcher Runde sie gedraftet werden und ob Teams die 5th Year Option ziehen) an eine fixe Gehaltsstruktur gebunden, die nur an den Draft-Slot und nicht an die Position gebunden sind.

Doch nicht jede Position ist gleich wichtig für sportlichen Erfolg. Quarterbacks sind unangefochten die wichtigsten Figuren einer NFL-Mannschaft, und sie sind quasi nie in der Free Agency zu kriegen. Ähnliches gilt für die Premium-Positionen sowie die Elite-Talente auf den „Tier 2“ Positionen.

Im aktuellen Draft gibt es die Diskussion, wie hoch ein Brock Bowers, auf den meisten Big Boards in den Top-10 gerankt, gedraftet werden sollte. Nehmen wir an, die #5 Chargers müssen eine Entscheidung treffen: Ihr Pick kostet unabhängig von der Position vier Jahre lang ca. 9 Mio/Saison.

Angenommen, Bowers würde von Tag 1 an auf dem Level des besten Tight Ends der NFL performen, bringt er eine Leistung, für die ein NFL-Team nach Ablauf des Rookie-Vertragsfensters rund 17 Mio/Saison zahlen muss. Er liefert also einen Mehrwert von 8 Mio/Saison.

Ein Receiver, der von Tag 1 an auf dem Level eines Top-5 Receivers performt, bringt eine Leistung, die im 2nd Contract ca. 28 Mio/Saison wert ist. Der Mehrwert so eines Picks beträgt also fast 20 Mio/Saison.

Diese „surplus value“-Kurven sind in den letzten Jahren von diversen Analysten untersucht und verfeinert worden, und sie schauen immer ähnlich aus:

Für obige Analyse ist noch weiter zu berücksichtigen, dass Tight Ends aufgrund der Komplexität ihrer Aufgaben für gewöhnlich Jahre brauchen, bis sie ihr Potenzial in der NFL ausgeschöpft haben. Es gab in den letzten 20 Jahren zahlreiche hochgejazzte Tight Ends, die finally die unglückselige Geschichte dieser Position brechen sollten – in Summe haben 1st Round Tight Ends es in den letzten 20 Jahren auf ganz zwei (!) All-Pro-Einberufungen gebracht. Man erinnere sich nur an den Buzz um Kyle Pitts von vor drei Jahren.

Bowers hoch zu draften ist also keine gute Wette.

NFL Draft und ich

Draft ist eine durchaus faszinierende Veranstaltung, aber ich bin kein großer Scout und außerdem beißt sich der Draft meistens mit anderen Prioritäten in meinem Kalender – in diesem Jahr ganz besonders.

Ich verlasse mich in Punkto Beurteilung üblicherweise auf andere Experten – J.T. O’Sullivan für Quarterbacks, Matt Waldman für Offense, Matt Harmon für Receiver, Ben Solak und Ringer-Kollegen ganz im Allgemeinen, und im deutschen Bereich Adrian Franke, Jan Weckwerth, Christian Schimmel usw.

Das Consensus-Board ist für mich das wichtigste Draft-Board. Positional-Value und allgemeine Einstufung sind für die Art, wie ich den Draft anschaue, wichtiger als “Scheme-Fit”.

Die Quarterbacks hatte ich schon Anfang März auf diesem Blog vor-analysiert. Die letzten zwei Wochen habe ich mich intensiver mit anderen Positionen in dieser Draftklasse auseinandergesetzt. Die nächsten Tage folgt eine Zusammenfassung dessen, was ich gelernt habe.


Weiterführende Lektüren zum Draft allgemein aus den letzten Jahren auf diesem Blog:

2 Kommentare zu “Eine erste Einführung in den NFL Draft 2024

  1. Wieder mal ein schöner Artikel, aber eine Sache fällt auf: Warum ist OT in Tier 1 und WR in Tier 2? Ich würde es eher umgekehrt sehen. Mit einem OT-Pick kann man 20% der OL verbessern, mit einem WR gleich die ganze Offense. Cincy mit Chase und Burrow ist das beste Beispiel, mit einem neuen OT wären die nie in den SB gekommen.

  2. Elite-WRs gehören sicher zu den wichtigsten Figuren.

    Aber starkes Talent auf der Wide-Receiver-Position ist grundsätzlich leichter auch in späteren Runden des Drafts zu bekommen als z.B. OT, EDGE und DT, die alle in der Spitze ähnlich teure Verträge ausstellen.

    Außerdem werden selbst exzellente Receiver häufiger am Trade-Markt gehandelt, weswegen Top-WRs auch außerhalb des Drafts leichter zu bekommen sind als Top-Talent auf den anderen genannten Positionen.

    Siehe Details hier:

    https://unexpectedpoints.substack.com/p/what-analytical-draft-value-curves

    https://unexpectedpoints.substack.com/p/inverting-the-pyramid-the-optimal

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