Update zum Positional Value im NFL Draft

Dass die Bedeutung von Quarterbacks im NFL-Football überwältigend ist, weiß jedes kleine Kind. Dass hoch gedraftete Runningbacks so gut wie wertlose Picks sind, ist auch bei der breiten Masse der NFL-Fans angekommen – wenn auch noch nicht in jedem Front Office.

Aber was ist mit den Abstufungen dazwischen?

In den letzten Wochen, Monaten und Jahren sind einige gute Arbeiten zum Positional Value geschrieben worden. Eine der wichtigsten Studien war Timo Riskes Analyse zum „Surplus Value“, dem „Mehrwert“, den Draftpicks mit ihren auf Jahre gedeckelten Rookieverträgen gegenüber einem Routinier auf dem zweiten oder dritten Vertrag bringen.

Zu beachten ist dabei, dass die Gehaltsstruktur im Draft unabhängig von der Position des gedrafteten Spielers fix ist. Der #1 Pick erhält z.B. heuer 10.2 Mio/Jahr für vier Jahre, egal welche Position er spielt. Die Veteran-Verträge dagegen zeigen massive Unterschiede zwischen den einzelnen Positionen – zahlreiche QBs kriegen über 40 Mio/Saison, die beste Passrusher oder Receiver erzielen um die 25 Mio/Saison, die besten Runningbacks dagegen nur 15 Mio/Saison.

Ein Beispiel:

  • Der #1 Pick ist ein QB und erweist sich als Volltreffer. Für einen Veteran müsste ein Team für so einen Spieler 50 Mio/Saison hinblättern. Als Top-Pick kostet er nur 10 Mio/Saison. Sein Mehrwert liegt bei 40 Mio/Saison.
  • Wäre der #1 Pick dagegen ein Runningback-Superstar, wäre sein Veteran-Contract nur um die 16 Mio/Saison wert. Sein Mehrwert läge also bei nur 6 Mio/Saison.

Dass es mehrere Draft-Value-Charts gibt, ist längst bekannt. Dass neuere Versionen wie das PFF-Chart oder das OTC-Chart ein wesentliches Upgrade gegenüber den alten Jimmy-Johnson-Charts darstellen, sollte auch jedem NFL-Draft-Fan geläufig sein. Weil etliche Teams noch mit den überholten Valorisierungen des Jimmy-Johnson-Charts arbeiten, lassen sich in Draft-Trades z.T. beträchtliche Gewinne erwirtschaften.

Aber ständig nach unten zu traden, um den Gesamtwert der Picks zu maximieren, ist nicht das Ziel von gutem Team-Building. Das hat nicht zuletzt Michael Lopez gezeigt, dessen Analyse ganz deutlich aufzeigt, dass die Chance auf echte Superstars bei den frühen Picks deutlich überproportional hoch ist im Vergleich zu späteren Runden – gerade auf den wichtigsten Positionen: Quarterback, Edge-Rusher, Offensive Tackle, Defensive Tackle.

Aus einem etwas anderen Blickwinkel zu dem Thema argumentiert seit Jahren in seinen Podcasts Jason Fitzgerald, der die Ressourcenknappheit auf manchen Positionen analysiert. Fitzgeralds Theorie arbeitete vor allem daran, dass es auf den oben beschriebenen Positionen (plus Wide Receiver) fast nie hochwertige Free Agents in ihrer Blüte zu haben gibt, weil Teams die besten Spieler auf diesen Positionen mit allen Mitteln zu halten versuchen. Nur unter besonderen Ausnahmebedingungen wie Cap-Hölle oder echten Streiks (Trent Williams) sind Stars auf diesen Positionen ohne Trade zu bekommen.

Was selbst Analytics-Draftkurven bisher nicht gezeigt haben

Die beiden Theorien hat jüngst Kevin Cole auf seinem Substack „Unexpected Points“ kombiniert und damit begonnen, den Mehrwert von Draftpicks auch über Quarterback hinaus auf die einzelnen Positionen herunterzubrechen. Die Ergebnisse in der Executive Summary:

  • Es gibt abseits der außer Konkurrenz laufenden Quarterbacks grob gesagt drei „Tiers“ in Positional Value
  • Tier 1 sind OT, EDGE, DT. Treffer und Busts alle berücksichtigt, liegt der Mehrwert relativ zu einem Veteran-Contract für diese Positionen in der Spitze bei über 4% Einsparung gegen die Salary Cap.
  • Tier 2 sind WR und CB. Der Mehrwert auf diesen Positionen erreicht in der Spitze 3-4%, aber gerade zum Ende der 1ten Runde raus bis in die mittleren Runden hinein haben die Positionen grob denselben Mehrwert wie die Tier1-Positionen.
  • Tier 3 sind RB, TE, iOL, LB, S. Es sind die Positionen, die man in der 1ten Runde so gut es geht meiden sollte, weil sie durch die billigen Free-Agent-Verträge nur geringen Mehrwert anbieten (ca. 2% in der Spitze) und sowohl billig in Free Agency als auch qualitativ ordentlich in den späteren Runden zu kriegen sind.

Die Analyse ist natürlich an einigen Stellen mit Vorsicht zu genießen, schon allein, weil wir durch die wenigen Drafts seit 2011 mit genug angeflanschten NFL-Jahren ein Sample-Size-Problem haben. Aber z.B. Wide Receiver ist auch eine Position, die in der Analyse besonders leidet durch einige richtig schwache Jahrgänge zwischen 2015 und 2018 mit nur wenigen erfolgreichen hohen Picks.

Was in den Zahlen auch zu berücksichtigen ist: Tier-1 und Tier-2-Positionen kommen fast nie auf den freien Markt, wodurch ihre Gehälter gedeckelt werden. Gut möglich, dass diese Positionen in der Free Agency noch bessere Gehälter aushandeln würden. Der Mehrwert dieser Positionen im Draft wäre dann sogar noch höher.

Aber das Big-Picture ist trotzdem ziemlich eindeutig, und es zeigt: Trade-Ups können in der 1ten Runde auch für non-QBs gerechtfertigt werden – zumindest, wenn sie für Premium/Tier-1-Positionen eingefädelt werden, weil allein die Chance auf echten „surplus value“ die Mittel bis zu einem bestimmten Punkt rechtfertigt.

Die spannendste Position ist Tight End

Tight End ist selbst unter den Tier-3-Positionen eine Anomalie. Der Mehrwert der Position ist in der 3ten Runde am höchsten!

Die Position ist wegen der Kombination aus diesen Faktoren so speziell:

  • Es ist am Veteran-Contract-Markt keine gut bezahlte Position, weil die Franchise Tag durch die geringe Anzahl an Elite-Tight-Ends ziemlich billig ist. Das heißt, Tight Ends sind nicht bloß ständig in Free Agency zu haben, sondern kosten dort auch noch relativ wenig.
  • Die besten Tight Ends der NFL dagegen sind echte Schnäppchen, weil sie unter Androhung der zu billigen Franchise-Tag zu niedrige Verträge akzeptieren müssen.
  • NFL-Teams sind aber grausam schlecht darin, die Qualität von Tight-End-Prospects im Draft zu bewerten. Die Liste an 1st-Round-Busts auf dieser Position ist länger als die der Treffer, und die wenigen echten „Difference Maker“ auf TE in der jüngeren Vergangenheit NFL waren 2nd Rounder (Rob Gronkowski), 3rd Rounder (Travis Kelce, Mark Andrews, Jimmy Graham), 4th Rounder (Aaron Hernandez), 5th Rounder (George Kittle) oder wie Antonio Gates komplett ungedraftet.
  • Tight Ends haben eine extrem lange Lernkurve. Weil die Position mit ihren vielen Nuancen im Blocking und Receiving viel komplexer ist als am College, erreichen viele Tight Ends erst nach drei, vier, manchmal fünf Jahren ihr bestes Niveau – ein Zeitpunkt, zu dem die günstigen Jahre des Rookievertrags schon fast vorüber sind. Viel Spielraum für „surplus value“ ist da in den ersten Jahren nicht.

Grundsätzlich sind sehr hohe Tight-End-Picks also keine gute Idee: Zu wenig schneller Impact, zu wenige echte Difference-Maker, zu wenig Mehrwert auf dem Rookievertrag durch die lange Lernkurve und den billigen zweiten Vertrag. Tight-End-Blüte kommt fast immer erst nach der vierten oder fünften Saison, wohingegen z.B. Runningbacks ihren Zenit meistens im zweiten oder dritten Jahr erzielen.

Das könnte man als Argument heranziehen, Runnnigbacks z.B. in der 2ten Runde gegenüber Tight End zu bevorzugen. Aber auch die Runningback-Position dürfte durch die doch beträchtliche Anzahl an schlechten Veteran-Contracts der Zeke-Güteklasse verfälscht sein, und die Position, obwohl schon jetzt eine der unwichtigsten in der NFL, von Kevin Coles Analyse noch überschätzt sein.

In Summe

Ich hab schon in den letzten Jahren versucht, meine Draft-Grades nahe an diesen angesprochenen Themen auszustellen. Es ist schön, immer mehr Methoden zur Quantifizierung des Positionswerts zur Hand zu haben, auch wenn wir wegen der geringen Sample-Size an einigen Stellen mit allzu definitiven Schlussfolgerungen noch vorsichtig sein müssen.

Ich weiß, dass jedes Team individuelle Needs und Anforderungen hat. Aber Scheme-Fit ist nie so wichtig wie Positional & Surplus Value, weil die NFL den Handlungsspielraum durch die Salary-Cap begrenzt. Die schlauen Teams legen mit den hohen Picks ständig auf wichtigen Positionen nach, bleiben damit flexibel im Cap-Management, ohne in zu arge Kaderlücken auf den Tier 3 Positionen zu gelangen. Denn dort lassen sich preiswert Veterans verpflichten.

Oder wie es Kevin Cole vor ein paar Wochen mal ausdrückte: Ein überbezahlter Free-Agent-Guard kann sich sogar als Segen erweisen, wenn sein Team dadurch der Verlockung widersteht, diesen Need auf einer eher unwichtigen Position hoch zu draften und damit eine viel wertvollere Ressource zu verbrennen.

8 Kommentare zu “Update zum Positional Value im NFL Draft

  1. Auch der Positional Value von RBs wird ja heuer mit dem ‚generational talent‘ Bijan Robinson wieder mal ausführlich diskutiert.

    Selbst die analytics-affine Seite argumentiert hier immer wieder, dass es vertretbar wäre wenn ein Team, das sonst keinen absolut unmittelbaren Need hat (ist das überhaupt möglich?) gegen Ende der 1. Runde zuschlagen kann und dafür nicht in der Luft zerrissen werden sollte.

    Ins Treffen dafür geführt wird das Argument, dass man einem so relativ sicheren Impact Player in dem Fall über 4 Jahre auch ’nur‘ irgendwas im Bereich von 3-4 Mio/Jahr zahlt und ihn dafür für den Prime seiner Karriere +eventuell 5th year option bekommt. Wenn man dann auch noch berücksichtige, dass gegen Ende der 1. Rund generell die Bustrate immer höher wird könne man Bijan schon in der 1. Runde picken.

    Ich hätte trotzdem ein schlechtes Gefühl dabei. Selbst 3-4 Mio guarantee pro Jahr wäre in der selben Kategorie mit den besten Backs der Liga (Jones, Ekeler, Kamara) auf Veteran Contracts, die man für die ersten 4 Jahr erheblich billiger bekommen hat was unterstreicht, dass man den besten RB-Value in Runden 2-3 finden kann. Unter anderem deshalb würde ich auch heuer (besonders in einer so stark besetzten Klasse) davon Abstand nehmen.

    Bin aber jetzt schon sicher, dass ihn irgendwer trotzdem ziemlich hoch ziehen wird 🙂

  2. Was bei RBs kommt dazu: RBs nach 5 Jahren einen zweiten Vertrag zu geben ist wegen des Verletzungsrisiko und des körperlichen Verschleiss auf der Position unattraktiver als bei einem DL oder OL. Insofern ist es auch nicht so wertvoll, dass man als draftendes Team mit Tags arbeiten kann um den Spieler zu halten wenn es um den zweiten Vertrag geht.
    Ich mag die Sichtweise allerdings überhaupt nicht, weil ich kein Fan davon bin wie die NFL bei RB das größere körperliche Risiko sogar noch als Nachteil bei der Bezahlung wertet…

  3. Keine Frage, RBs sind mit der derzeitigen Gehaltsstruktur am Arsch.

    4 Jahre billiger Rookie-Vertrag mit einer Menge carries & den meist unvermeidbaren Verletzungen um danach darauf hoffen zu können, irgendwo für ein paar Mio noch einen zweiten, kurzen Vertrag zu bekommen. Auf anderen Positionen beginnt dann erst das große Abcashen (zurecht!).

    Was eingentlich echt schade ist, da RB eine super spektakuläre Position ist.

    So schnell wird sich aber daran nichts ändern. CBA ist für die nächsten Jahre einzementiert, und selbst wenn eine neue Verhandlung darüber ansteht kann ich mir aus heutiger Sicht nicht vorstellen, dass da mehr rausschauen wird. Die Verantwortlichen auf Seite der NFLPA sind ja auch ausschließlich Veterans, deren Priorität auf anderen Dingen liegt, als sich dafür einzusetzen die Rookiegehälter dahingehend reformieren. Ob man damit bei den Ownern durchkäme ist dann sowieso höchst zweifelhaft.

  4. Super Artikel!

    Aufschlussreich und schön mit den Grafiken dargestellt!

    Interessant finde ich, dass im Vergleich zu den letzten Jahren jetzt doch wieder mehr der Trend Richtung trenches – speziell OT, EDGE und DT – geht. Zwischenzeitlich hieß es ja mal, dass WR, CB und S eventuell fast wertvoller seien.

  5. @JoffreyG:

    Ich habs oben nicht geschrieben, aber bei dem Punkt ist natürlich zu beachten, dass die Bezahlstruktur in der NFL eventuell nicht 100% rational ist. Der Themenkomplex „Mehrwert“ hängt ja stark damit zusammen, wie die NFL die einzelnen Positionen auf dem 2nd-Contract-Market effektiv bezahlt.

    Wie wichtig die Positionen sind, korreliert nicht perfekt mit dieser Bezahlstruktur. Sonst wären QBs noch teurer und RBs noch billiger.

    Bei Defensive Backs ist zu beachten, dass ihr genauer Wert weiter fraglich ist. Pass-Coverage ist ein „weak link“ System. Besser fünf passable als vier gute und einen richtig schwachen Starter.
    PFFs Analyse von einst „Coverage > Passrush“ hing auch an den PFF Coverage Grades, die durchaus ihre Flauseln haben. Die Grades sind nicht so verlässlich wie man dachte.

  6. bei DBs kommt noch hinzu das man zwischen scheming optionen und mehrere rollen auf verschiedene Spieler etc nicht alle teams das exakt gleiche Profil suchen d.h. es sind garnicht alle 32 teams in nachfrage nach dem selben spieler, außer vielleicht #1 Lockdown-Corner was schwer zu projecten ist. bei OT/Passrush suche tendenziell alle den gleichen

  7. Pingback: Baltimore Ravens Final Roster Roundtable – Like a Raven

  8. Pingback: Draft - wie funktioniert das? - Miami Dolfans Germany e.V.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..