Letzte Gedanken zur Superbowl 2023

Fünfeinhalb Stunden bis Kickoff von Superbowl 57 Kansas City Chiefs – Philadelphia Eagles.

Dieses Wochenende hat mit dem Six-Nations-Spiel Irland – Frankreich gestern Nachmittag bereits ein unvergessliches Highlight geliefert, und wir haben die Chance, auf diesen All-Timer eine ähnlich spektakuläre Superbowl geliefert zu bekommen.

In Deutschland ist diese Superbowl der Abschied von RanNFL. Nächstes Jahr wandern die Rechte zu RTL, und wie die Football-Coverage dort weitergeführt wird, ist noch nicht ganz so klar. Im NFL Gamepass wird die Übertragung von FOX gezeigt. Das bedeutet, wir bekommen in Kevin Burkhardt einen Color-Commentator mit einem extrem niedrigen Ego, und in Greg Olsen den mittlerweile eindeutig besten Co-Kommentator. Ich hatte darüber schon vor der Saison geschrieben – und mittlerweile scheint es Konsens zu sein, dass Olsen alle anderen Analysten inklusive Tony Romo meilenweit überholt hat.

Eagles vs Chiefs – Neben dem Feld

Die beiden Teams sind auf unterschiedlichen Wegen in die Superbowl gekommen, aber beide haben es dorthin geschafft, ohne „all in“ zu gehen. Die Chiefs haben vor der Saison sogar den Umbruch eingeleitet, indem sie ihren Superstar-WR Tyreek Hill verkauften um die Salary-Cap nach dem Ende von Patrick Mahomes‘ Rookievertrag zu sanieren.

Ich fand den Move schon direkt nach Unterschrift gelungen, weil Hill mit 30 Mio. einfach ein zu teurer „decoy“ in dieser Offense gewesen wäre:

Hills Verkauf ist eine Schwächung für 2022 – rein zufällig genau in einem Jahr, in dem die Divisionskonkurrenz massiv aufrüstet – aber die Chiefs sind „long term“ nun um einiges gesünder aufgestellt als noch vor einem Monat.

Freilich jagt der Block auf den momentanen WR-Depth Chart (prinzipiell Juju und Hardman) einem Fan natürlich im allerersten Moment den Angstschweiß über den Rücken.

Aber: Tief fallen werden die Chiefs ohnehin nicht. Mahomes ist ein zu guter QB dafür – und Andy Reid ein zu guter Schemer. Wer erinnert sich noch an die Jahre, in denen Reid mit Alex Smith auf QB Spielzeiten ohne einen einzigen Receiver-Touchdown durchmachte und trotzdem unter den besten Offenses rangierten. Meine Prognose: Hill wird Mahomes/Reid stärker vermissen als Mahomes/Reid Hill. Erinnere dich an diese Worte, wenn die Chiefs nächsten Februar in der Superbowl auflaufen.

Aber es war ein notwendiger Move für GM Brett Veach, den ich in den letzten Jahren durchaus immer mal wieder kritisch gesehen hatte. Die Chiefs hätten keinen weiteren super-teuren Vertrag durchschleifen können, ohne nicht irgendwann auf die Cap-Mauer aufzulaufen.

Im Gegenzug haben sie etliche Draftpicks erhalten, von denen die meisten echte Leistungsträger in den Playoffs waren – z.B. ist die halbe Secondary mit Rookies gespickt, und auch EDGE-Rusher George Karlaftis hat signifikante Snaps gespielt – während offensiv das Erwartete eingetreten ist: Reid und Mahomes haben es mit einem limitierten, weil billigeren, aber in der Breite besser besetzten Receiver-Corps trotzdem gebacken bekommen.

Der Hill-Verkauf war aber nur der auffälligste der großen Chiefs-Moves. Ebenso wichtig war es, der Versuchung zu widerstehen, LT Orlando Brown sündhaft teuer zu verlängern. Brown, den Veach vor zwei Jahren zu teuer via Trade aus Baltimore geholt hatte, war Free Agent. Er spielt unter der Franchise Tag. Er ist ein solider Tackle, aber keine zentrale Stütze.

Auch den in die Jahre gekommenen, zu teuer gewordenen „Locker Room Leader“ Tyrann Mathieu hat man ziehen gelassen. Der Move war durchaus riskant und hätte weh tun können, wenn sich die Rookies nicht so gut gemacht haben.

Aber alle drei Moves – Hills Verkauf, Browns Nicht-Verlängerung sowie Mathieus Abgang – sorgten dafür, dass die Chiefs ohne Vertrags-Neustrukturierung bei Mahomes durchkamen. Mahomes hat im Vertrag zahlreiche Roster-Boni, die sich mit Umwandlung in Handgeld in „pro-raten“, also in der Zukunft abschreiben lassen, was kurzfristig Cap-Space generiert, aber langfristig die Handlungsspielräume einengt.

2022/23 war mit all diesen Moves als Umbruch-Jahr und „Floor“ der Chiefs-Dynastie geplant. Die Weichenstellung endet im Superbowl.

Was lernen wir? Es ist gut, Patrick Mahomes im Kader zu haben. Aber das allein reicht nicht. Zu viele dieser Franchise-Superstar-QBs wurden in den letzten Jahren mit idiotischem Roster-Management verschenkt. Brett Veach gebührt mein Respekt, weil er rechtzeitig die Notwendigkeit für den Umbruch erkannt hat.


Die Eagles haben wahnwitzige Jahre hinter sich. Sie sind ein Beispiel dafür, dass nicht jeder Move einschlagen muss, aber dass man seine Chancen mit dem richtigen „Process“ massivst verbessern kann, ein dominantes Team zu bauen. Und kein GM hat einen besseren Entscheidungsprozess als Eagles-GM Howie Roseman. Roseman war vor vier Jahren schon der beste GM in der NFL, und er ist es noch heute.

In der Zwischenzeit hat er den Fehler von Carson Wentz‘ Vertragsverlängerung begangen und selbst wieder ausgebügelt. Der Move kostete mehr Eier als man meint, denn sich Fehler einzugestehen und die „sunk costs“ einfach abzuschreiben, ist in der Wirtschaftswelt kein verbreitetes Phänomen. Ebenso hat Roseman in der Zwischenzeit seinen Headcoach ausgetauscht, einen QB-Rookie als Entwicklungsprojekt in der zweiten Runde gedraftet, als Wentz noch eine anerkannte Größe war, Jalen Reagor einen Spot über Justin Jefferson gedraftet, aber gleichzeitig Zillionen 1st Rounder via Trades generiert.

Roseman überwand eine kritische Salary-Cap-Situation vor zwei Jahren, in dem er alle Scheiße in einer Offseason versenkte ohne den Kader zu sehr auszuhöhlen, und begann unmittelbar danach, den Kader mit einigem Frischblut aufzubolstern.

Sein grandiosester Move war der Trade des Top-10 Picks in 2021: Um nur von #6 auf #12 runterzugehen, luchste er den Miami Dolphins einen 1st Rounder ab. Später schickte Roseman einen Mid-Rounder rüber an die Cowboys, um an #10 hochzugehen und Devonta Smith zu draften.

Was ist besser: Jaylen Waddle oder Devonta Smith? Die meisten, wohl inklusive Howie, würden sagen: Waddle.

Aber ist Waddle besser als Devonta + 1st Rounder? Nur Dolfans beantworten diese Frage mit ja.

In der letzten Offseason drückte Roseman auf das Gaspedal und schlachtete alle Optionen aus, den Rookievertrag bei Jalen Hurts zu nutzen. Seine wichtigsten Moves haben alle eingeschlagen:

  1. A.J. Brown für einen 1st Rounder aus Tennessee geholt
  2. EDGE Haason Reddick vom Free-Agency-Markt geholt
  3. “Buy Low” Modell in der Secondary – Chauncey Gardner Johnson für einen Late-Rounder aus New Orleans geholt, und James Bradberry für einen billigen Free-Agent-Vertrag geholt, als er im Sommer von den Giants gefeuert wurde.

Move 1 brachte den entscheidenden Durchbruch für das Deep-Passing-Game. Move 2 bolsterte den ohnehin schon tiefen Passrush auf und sorgt dafür, dass heute ein im Herbst geholter Mann wie Robert Quinn (2021 noch mit 18 Sacks) nur rund 12 Snaps (!!!) pro Spiel in der Rotation gebracht werden kann.

Move 3 zeigt: Roseman versteht, was Varianz in der Secondary bedeutet, wo man am besten Tiefe hat, ohne zu viele Ressourcen auf eine einzige Person zu konzentrieren.

Roseman hat eindeutig kapiert, dass 2022/23 die Saison mit dem am weitesten geöffneten Titelfenster für die Eagles ist – schließlich ist es das letzte Jahr von Hurts‘ Rookievertrag. Entsprechend hat er viele Jetons reingebuttert.

Und doch ist Philly kein „all in“ Projekt. Letzte Saison hielt Roseman gleich drei 1st Rounder im Draft. Einen von ihnen „verschob“ er in einem Trade mit den Saints ins Jahr 2023. Es war „Hedging“ des Investments, denn es gab Philly die Möglichkeit, sich nach einer alternativen Lösung umzuschauen für den Fall, dass Hurts in seiner Entwicklung stagniert. So nebenbei staubte Roseman dabei noch einen 2nd Round Pick 2024 in dem Trade ab.

Philly steht im Superbowl und hat zwei 1st Rounder im nächsten und zwei 2nd Rounder im übernächsten Draft: Roseman ist ein Phänomen und als „Outsider“, der nie selbst Football gespielt hat, auch der Gegenbeweis für zahlreiche Vorbehalte, die es Analytics-Guys nicht zutrauen, eine NFL-Organisation zu führen.

Eagles vs Chiefs – Ergänzungen zum Matchup

Das Matchup zwischen Eagles und Chiefs habe ich schon unter der Woche im Detail analysiert. Natürlich haben diverse Experten in der Zwischenzeit noch weit tiefer ins Glas Mikroskop geschaut und verschiedene Aspekte des Matchups vertieft.

Ben Solak und Steven Ruiz haben z.B. beim Ringer eine klare Schwachstelle von „my guy“ Jalen Hurts gegen Zone-Blitzes festgestellt. Hurts verlasse dann gern zu schnell die Pocket, und weil es gegen seine Playmaker-Instinkte sei, den Checkdown zu suchen, verlasse er sich dann zu sehr auf seine Athletik. Hurts ist ein großartiger, aber kein epischer QB-Runner.

Ich schrieb unter der Woche, dass Eagles-WR A.J. Brown ohne Press tödlich auf In-Breaking-Routes wie Slants sei. Solak und Ruiz bringen aber die Gegenthese und fragen sich, ob sich die Chiefs mit Press gegen Brown nicht sogar in die eigenen Finger schneiden würden, weil Brown den Chiefs-CBs wirklich so überlegen sei.

Timo Riske hat bei PFF gezeigt, dass die Chiefs-Defense wahrscheinlich mittlerweile „underrated“ ist und durchaus mehr Respekt verdient habe. Er zeigt auch eine weitere mögliche Sollbruchstelle bei Jalen Hurts gegen Cover-3 Defense auf – das überschneidet sich ein bisschen mit obigen Zone-Blitz-Punkt.

Die Stärken der Eagles-Offense seien dreierlei:

  • Hurts, der mit seinem Rushing-Threat ein 11-vs-11 zwischen Offense und Defense ermöglicht und damit das „Number’s Game“ in Richtung Offense shiftet
  • RPO Game mit seinen vielen schnellen Pässen, wie den Slants zu Brown
  • Deep-Sideline-Shots für Brown und Devonta Smith

Cover-1 sei zu anfällig gegen die tiefen Bomben, während Two-High-Shells wie Cover-2 oder Cover-4 die Front zu sehr gegen den Lauf entblößen. In Cover-3 Defense aber hockt ein Safety tief, während der andere nach vorn gezogen wird um die Run-Defense und die Mitte gegen RPO-Pässe zu verstärken. Die beiden Outside-Corner hocken aber ebenso in Zone-Defense und verhindern besser die tiefen Pässe.

Der Unterschied zwischen dem, was Hurts gegen Cover-1 und Cover-3 macht, ist frappierend:

Zum Punkt Game-Management liefert Sumer Sports ein paar Einwände gegen die These, dass Andy Reid ein Horror-In-Game-Coach sei. Reid ist seinem Gegenüber Nick Sirianni zwar deutlich unterlegen, aber sein Clock-Management in der zweiten Halbzeit ist besser als der Ruf davon. Insgesamt war Reid in der bisherigen Saison ein Top-10-Coach im In-Game-Management:

Zu den Matchups in den Trenches hat Mitchell Schwartz gute Twitter-Threads geschrieben.

Philly OL vs Chiefs DL: Schwartz sieht die Eagles doch deutlich im Vorteil, weil sie die Mittel haben, DT Chris Jones besser als jede andere OL aus dem Spiel zu nehmen. Jones wird es schwer haben, die Guards so schnell zu schlagen wie in den letzten Wochen, wo der Center oft zu spät zu Hilfe kam, weil Jones schon am Guard vorbei war.

Chiefs OL vs Philly DL: Schwartz sieht einen viel kleineren Unterschied zwischen den beiden Units als der Public. In der Interior O-Line sieht er die Chiefs-Blocker als ebenbürtig an. An den Flanken sei die Tiefe und auch die Vielseitigkeit der Edge-Rusher ein kleines Plus für Philly, aber das Chiefs-Scheme sei meisterhaft darin, den Offense Tackles Support im Playcalling zu geben.

Den EDGE mit einem Tight End zu „chippen“ ist eine Option. Andere Möglichkeiten sind enge Formationen, Screens oder Jet Motions (allerdings fehlt dafür Hardmans Speed). Die Chiefs haben damit in der Regular Season schon den Defense-MVP Nick Bosa aus dem Spiel genommen.

Worin sich Solak, Ruiz und Schwartz einig sind: Philly entscheidet sich oft auf Basis der Offense-Aufstellung, ob man eine 4-Mann oder 5-Mann-Front spielt. Je schwerer das Personal, desto mehr Mann gehen an die LOS. Die Chiefs bringen einiges an 12/13 Personnel. Wenn die Chiefs dagegen fünf D-Liner bringen, spielen sie dahinter meistens Man Coverage. Üblicherweise gehen in dem Fall alle Fünfe auf den QB. Das hat den Vorteil, dass a) der Lauf besser verteidigt werden kann und b) alle Fünf das machen, was sie am besten können. Aber dahinter entstehen dann Räume, die ein Mahomes ausschlachten kann.

Bringen die Eagles nur vier Mann, spielen sie dahinter Zone Defense. In dem Fall ist Philly drauf angewiesen, dass die vier Passrusher die O-Line schlagen – ansonsten hagelt es 1st Downs und Punkte.

Prognose

Letztlich hängt so vieles an Mahomes. Er wird nicht bei 100% sein, aber ich erwarte, dass er fitter sein wird als vor zwei Wochen, als er bei einer Handvoll Plays doch entscheidend eingeschränkt wirkte. Spielt Mahomes einigermaßen nahe 100%, sehe ich nur ein Szenario, in dem die Eagles-Defense gegenhalten kann – nämlich das „Superbowl gegen Tampa“ Szenario, wenn der Passrush wirklich so massiert die Chiefs-Protection aufbröselt, dass es jeden Versuch von Offense im Keim erstickt. Daran glaube ich ehrlich gesagt nicht – die Situation vor zwei Jahren wurde auch dadurch hervorgerufen, dass Kansas City damals mit vier Backup-O-Linern auflaufen musste. Die Line ist trotz nicht idealer Offense Tackles heute wesentlich besser.

Wenig gesprochen wird IMHO über die Verletzung bei Jalen Hurts. Auch er ist nicht fit, und das Schulterproblem schien in den letzten Wochen schon eine deutliche Einschränkung im tiefen Passspiel gewesen zu sein – unabhängig davon, dass Hurts nicht mehr souverän in seinen Reads wirkte.

Die Eagles werden zwar auch trotz Hurts‘ Limitierung das meiste von ihrem Option-Stuff spielen können, aber wenn die tiefen Bomben nicht ankommen, geht der Offense doch ein beträchtlicher Batzen Zunder ab. Vielleicht auch kritisch in den Zusammenhang: Coaches lassen an der Schulter verletzte QBs ungern zu viel laufen, weil die Gefahr von weiteren Verletzungen besteht. Die Eagles haben das bessere Team, wenn wir die QB-Position herausrechnen.

Aber das hieße, Patrick Mahomes herauszurechnen, den besten Quarterback aller Zeiten. Ich kann nicht gegen ihn setzen, nicht wenn der Gegner nicht ebenso zumindest einen QB nahe Liga-Elite entgegenwirft. Chiefs gewinnen ein hoffentlich punktreich und offensiv schön anzuschauendes Spiel.

3 Kommentare zu “Letzte Gedanken zur Superbowl 2023

  1. Ich bin ja auf die Chiefs D gespannt. Ja Cover 3 könnte gegen die Eagles helfen, jedoch gibt es kaum ein Team, welches so wenig Cover 3 gespielt hat wie die Chiefs (31rd).
    Was werden wir also heute abend sehen?

  2. Aber das wird dann wohl auch auf absehbare Zeit der einzige Super Bowl für Olsen bleiben, wenn ein gewisser Tom Brady demnächst die neue #1 bei FOX wird.

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