Superbowl-Sonntag 2022

Guten Morgen Superbowl Sunday!

Die abgelaufene NFL-Saison war über weite Strecken nicht schön, aber sie kriegt ein Endspiel, das sie sich verdient hat: Die Paarung Los Angeles Rams – Cincinnati Bengals hatte noch vor einem Monat niemand auf der Rechnung.

Obwohl diese Paarung so überraschend kam, war die Superbowl-Woche eine ziemliche „slow news“ Week. Obwohl die Rams aus dem großen Medienmarkt Los Angeles kommen und obwohl sie in Odell Beckham einen der größten Social-Media-Stars der NFL aufbieten, sind sie als Team so gesichtslos, dass sich die Berichterstattung schnell auf die Cinderella Bengals konzentrierte – aber auch dort gab es nicht genügend gute Geschichten. Am Freitag waren wir dann dabei angekommen, ob Joe Burrow seine rechte Socke aus Aberglaube verkehrt rum trägt oder einfach so.

Eine der besten Geschichten ist jene von Rams-Left Tackle Andrew Whitworth, der als 40-jähriger seine zweite Superbowl spielt. Whitworth hat den Großteil seiner eindrucksvollen Karriere ausgerechnet bei den Bengals verbracht, wo er sich als einstiger 2nd Rounder nach oben zu einem echten Leader gearbeitet hat.

Whitworth hat alle Höhen und Tiefen einer Karriere mitgemacht und ist einer der Typen, über die in der NFL wirklich jeder nur Gutes zu sagen hat. Am Donnerstag sorgte er an einem Abend, an dem ein geleckter Antiwaxxer zum Liga-MVP gekürt wurde, für den „feel good“ Moment der NFL Awards Show, als er den Walter Payton Man of the Year Award abholte.

Dass Whitworth als 40-jähriger noch eine physische Position wie Left Tackle auf höchstem Niveau spielt, ist schon für sich beeindruckend. Dass er das geschafft hat, nachdem er sich letztes Jahr schwer verletzte, ist umso grandioser.

Die Reha verbrachte Whitworth im Frühling übrigens gemeinsam mit dem großen Hoffnungsträger seines Ex-Teams und heutigen Gegners: Joe Burrow. Die beiden haben gemeinsam ihre Geburtstage gefeiert und sind dabei dicke Kumpels geworden. The Athletic hat Whitworth zum vielleicht letzten Spiel seiner Karriere einen detaillierten Artikel spendiert.

Whitworth ist übrigens vier Jahre älter als sein Head Coach Sean McVay. McVay gilt seit Jahren als eine Art Wunderkind unter den NFL-Coaches, und auch die desaströse Scharte der Superbowl 53 gegen die Patriots vor ein paar Jahren hat daran wenig geändert.

McVay strahlt nach sechs Spielzeiten als Chefcoach trotz seiner Jugend die Aura eines alten Hasen aus – und vielleicht ist er auch bald schon wieder Geschichte. Zumindest deutete McVay gestern an, den Coaching-Job eventuell gar nicht mehr so lange mitmachen zu wollen:

McVay—who worked for the Buccaneers in 2008, the Commanders in 2014-2017 and now the Rams since 2017—has had a short coaching career in comparison to veterans in the league. But he admits he wants a work-life balance once his family grows.

So, has McVay made his decision?

“I don’t really know,” McVay said. “I know I love football and I’m so invested in this thing and I’m in the moment right now. But at some point, too, if you said, ‚What do you want to be able to do?‘ I want to be able to have a family, and I want to be able to spend time with them.”

Das klingt fürs erste Mal recht konkret. Oder ist es nur ein Anflug von Stanglfieber (McVay will im Sommer heiraten) und dann coacht der Coach weiter wie jeder Coach immer weitercoacht?

Sportliche Vorschau

Sportlich ist die Partie nicht schwer zu lesen: Die Rams sind mit 4.5 Punkten favorisiert, was sich wie ein zu knapper Spread anfühlt, wenn man sich die krasse Überlegenheit der Rams in Offensive und Defensive Line für Augen führt. Wenn sie ihre Vorteile dort einigermaßen ausspielen ohne zu viel in 5-Man Front mit Single-High spielen zu müssen, könnte es eine lange Nacht für Cincinnati werden.

Die Bengals waren natürlich schon oft totgeschrieben und haben sich trotzdem immer wieder durchgekämpft. Wirklich beeindruckend waren sie dabei selten – obwohl sie innerhalb nur eines Monats den größten Titelfavoriten Kansas City gleich zweimal nach großem Rückstand geschlagen haben.

Die Bengals sind natürlich besser als Kanonenfutter und sie haben in Burrow den besseren Superbowl-Quarterback. Aber vieles an ihren Siegchancen heute Nacht ist am ehesten am Prinzip Hoffnung festzumachen.

Zum Beispiel geht das so: Die Rams haben in QB Matthew Stafford einen zwar potenten QB, der ihre Offense nach zwei Jahren des Niedergangs wieder geöffnet hat, aber eben permanent anfällig dagegen ist zu überziehen. Stafford ist nicht der allerpräziseste Werfer unter der Sonne – die Bengals könnten eventuell daraus Turnover-Kapital schlagen und die Partie spannender gestalten als gedacht.

Detaillierter habe ich die sportliche Vorschau schon am Freitag geschrieben. Auch wenn ich gerade zu Beginn kein schönes Spiel erwarte: Ich freue mich jetzt einfach drauf, dass es bald losgeht. Im Lauf des Tages werde ich dann noch die versprochene Spende platzieren, die es für den Sensationssieg der Bengals im Semifinale gibt.

An der Stelle auch gleich noch ein fetter Danke für die finanziellen Beiträge der letzten Tage – namentlich vor allem an die Großspender Max, Felix, Ernst und Mara. Ich weiß es zu schätzen! Die Saison war ein echter Grind. Ich war oft zu fertig, um am Sonntagabend noch vernünftiges Liveblogging zu machen – auch unabhängig von meinem schwindenden Interesse an der aufgeblähten Regular Season.

Genie oder Frevler?

Something completely different: Dieses Blog ist kein „Analytics-Blog“ per se, weil ich nicht die Zeit für aufwändige Analysen fahren kann. Aber auch, weil es mir verglichen mit dem heutigen Standard auch mittlerweile längst am nötigen Know-How fehlt, um noch mitzuhalten. Aber ich habe über die Jahre oft über Analytics-nahe Themen geschrieben.

Für einige Zeit habe ich dabei auch Infos aus der Feder von Warren Sharp genutzt. Sharp hat nach dem Ableben der fantastischen Analytics-Seite von Brian Burke eine Lücke gefüllt, die erst später von öffentlichen Packages wie NFLscrapR und später NFLfastR oder aber auch durch PFF-Analytics geschlossen wurde.

Sharp ist in der Welt der Sportwetter und Data-Scientist ein Mann mit umstrittenem Ruf (und das mag eine Untertreibung sein). Deutlicher: Sharp wird von vielen als Hochstapler und Schwindler abgetan – reich in Eigenvermarktung, arm in Content.

Ich persönlich zitiere Sharp schon seit einigen Jahren nicht mehr, weil ich seiner Arbeit nicht traue. Ich weiß aus erster Hand, wie gefährlich es sein kann, Schlussfolgerungen aus kleinen Sample Sizes zu schließen. Ich weiß auch wie verlockend es ist, in Daten-Sets Bestätigung zu suchen anstatt sich radikal von Evidenz leiten zu lassen. Beides braucht Know-How und Disziplin. Beides sind Prinzipien, die Sharp ständig verletzt, auch wenn nicht sein kompletter Inhalt unter das Label „völliger Bullshit“ fällt.

Deutlicher: Sharp ist ein Amateur unter den Analysten, aber ein Experte in Selbstvermarktung.

Trotz aller Kritik arbeitet Sharp aber für NFL-Teams und hat gleichzeitig prominente Jobs bei NBC oder beim Ringer, und agiert als Wettpate. Gestern hat er es sogar in den „New Yorker“ geschafft. Das ausführliche Porträt gibt nicht bloß überraschende Infos preis (z.B. dass „Warren Sharp“ tatsächlich nur ein Pseudonym ist), sondern erzählt auch von allen wesentlichen Streitpunkte um die Figur Sharp.

Es ist auch eine Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema: An welcher Stelle können Leute ein für sie kaum greifbares Thema (Datenanalyse) überhaupt noch einschätzen. Wie soll man wem glauben, und an welcher Stelle ist der Übergang von Skepsis zu blankem Neid? Und wird von all den Freaks da draußen eine wesentliche Qualität – den Inhalt kommunikativ an den Mann zu bringen – einfach auch gnadenlos unterschätzt?

Ich weiß, in welchem Lager ich inhaltlich beim Thema Sharp stehe. Daher ist das Ende des Artikels auch etwas frustrierend, weil der Autor nach der Auflistung aller Kritikpunkte dazu übergeht, Sharp einfach zu glauben. Die Lektüre endet damit in einer bitteren Note. Ich empfehle sie mit dem hier geschriebenen Vorwissen trotzdem – und so ganz nebenbei: Wie cool ist es, dass der New Yorker darüber diskutiert, ob ein 1st Down nach 4 Yards Raumgewinn als Erfolg zu werten ist, oder erst nach 5 Yards?

Wir lesen und dann am Abend.

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Ein Kommentar zu “Superbowl-Sonntag 2022

  1. Am Ende ist es fast egal, wer gegeneinander spielt, die Vorfreude ist jedes Jahr aufs neue wieder da. Ich hoffe einfach nur, dass das Spiel lange spannend bleibt. 🙂

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