Der ex-NFL-Quarterback Sage Rosenfels hat gestern mal wieder zur Keule ausgeholt.
Rosenfels lederte auf Twitter gegen die Branche der Hobby-Film-Analysten:
Mal ganz abgesehen davon, dass Rosenfels natürlich schon einen validen Ausgangspunkt hat: Film-Scouten ist kein zertifizierter Beruf und somit darf man ruhig vorsichtig sein, wessen Analysen man in der weiten NFL-Welt wieviel Glauben schenkt.
Doch Rosenfels übertreibt in seiner Holzhackeraktion maßlos. Bei „einigen Tausend Leuten“ sind wir, wenn wir ein paar Jahrgänge NFL-Spieler zusammenrechnen, plus Coaches, plus College-Prospects, plus deren Coaches. In den USA gibt es allein hunderte College-Teams und Highschools im zweistelligen Tausender-Bereich, viele davon ausgestattet mit Highschool-Footballmannschaften. Sie alle sollten zumindest etwas Ahnung haben.
Tape grinden ist keine Raketenwissenschaft. Es ist ein langwieriger Prozess, der Zeit braucht, und Liebe zum Detail – und jeder, der es etwas intensiver betreibt, wird schnell dahinter kommen, dass auf den ersten Blick nicht gleich auf den zweiten Blick ist. Es ist ein Prozess, bei dem wie so oft kein Meister vom Himmel gefallen ist, und es viele Dinge zum Lernen gibt.
Es ist ein Prozess, bei dem ich niemandem trauen würde, der es erst seit kurzem macht. Es ist ein Prozess, bei dem ich ehemaligen Spielern, v.a. ehemaligen Quarterbacks, eher trauen würde als einem wahllos dahergelaufenen Twitterer mit einer Handvoll rausgerotzten Tweets.
Aber es ist keine Wissenschaft. Gerade Draft-Scouting lebt von der Weisheit der Vielen. Die Masse an verschiedenen Meinungen formt das Gesamtbild. Traditionelles Scouting und moderneres, datenbasiertes Scouting ergänzen sich ohne dass wir bislang von einer Revolution sprechen könnten, die zu einer wirklich überlegenen Methode geführt hätten.
Es ist unbestritten, dass professionellere Scouts aus NFL-Kreisen tendenziell besser wissen wovon sie sprechen als die vielen Amateure da draußen. Doch es ist nicht so viel mehr, als dass sie alljährliche kapitale Draftbolzen wie Mitchell Trubisky an #2 oder Solomon Thomas an #3 oder Leonard Fournette an #4 oder [bitte füge einen beliebigen Draftbust der letzten 50 Jahre an dieser Stelle ein] verhindern könnten.
Um zu verstehen was in einem Spielzug vorgeht, braucht es rudimentäres Verständnis vom Spiel, etwas Erfahrung, etwas Anleitung – und All-22 Tape. Das ist vollständig verfügbar in der NFL, und immer zugänglicher im College Football.
Assignments sind zweifellos ein Kriterium – doch wie es J.T. O’Sullivan immer sagt: Ohne Vorstellungsgespräch oder Präsenz im Locker-Room kannst du eh nicht mehr machen als zu vermuten. Und da selbst die besten Scouts trotz ihrer Zugänglichkeit zu detaillierteren Informationen so häufig danebenschießen, liegt die Vermutung nahe, dass der Punkt ohnehin überschätzt ist.
Fazit: Weder Verfügbarkeit von Material noch perfekte Expertise rechtfertigen einen Rant wie jenen von Rosenfels. Sie alle sind nicht gut genug in dem was sie tun um sich in ihrem Elfenbeinturm einzuschließen und behaupten, die Wahrheit in ihrem kleinen Zirkel gepachtet zu haben.
Rosenfels hat irgendwo recht und irgendwo unrecht.
Ich möchte sehen wie der Public Draftprospects analysiert ohne durchgesickerte Infos aus der Scouting und NFL Community, und gleichzeitig müssen oder dürfen diese Leute in der NFL Community nicht so tun als würden allein sie alles verstehen. Die Trefferquote ist dafür zu schwach.
Ich schaue mir seit vielen Jahren Scouting Tapes an und kann bestätigen dass ich schon oft dachte es zu verstehen und dann immer wieder zurückgeworfen wurde.
@Silv: Sorry, Comment hat im spamfilter gesteckt.
@silv: Sehr guter Kommentar!
Ich meinte neulich schon, dass ein „Draft-Kaspar-Hauser“-Experiment spannend wäre. Man setze jemanden ohne jegliche Zusätzinformationen aus Draft Guides etc. in eine Hütte zum Tape grinden. Ich wette, dass vollkommen andere Rankings dabei herauskommen würden. Der Priming-Effekt ist halt bei uns allen – ob wir das zugeben wollen oder nicht – extrem hoch.
Klar ist der Priming Effekt hoch 🙂 Es wäre besser, wenn es mehr unabhängige Meinungen gibt, dann würde die Draft Hitrate mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit besser aussehen.
So ist einer schreibt vom andern ab, Analytics steckt noch in den Kinderschuhen, natürliche Unschärfe mit verschiedenen Spiel Systemen und zu viel Gruppendenken.
Es wäre echt spannend zu sehen zu welchen Schlüssen ein Hobbyscout kommt, wie viel besser oder schwächer er wäre. Wie viel besser oder schwächer er wäre, wenn er mit Datenmaterial ausgestattet scoutet. Wie viel besser ein reines Databased Scouting wäre.
Ich für mich habe viele Hits wo ich besser dran war als die NFL, aber natürlich auch viele Misses. Man erinnert sich lieber an die guten 🙂 und glaubt damit viel eher was von der Materie zu verstehen 😀
Auch Trackingdaten werden helfen den Scoutingprozess künftig zu unterstützen. Es gab diesbezüglich bei Athletic einen interessanten Artikel:
https://theathletic.com/2417571/2021/03/01/college-football-analytics-sports-science-dave-anderson-breakaway-najee-harris/
Tape wird nicht überflüssig, aber die Teams bekommen viel größere, verlässlichere Datenmengen über die Athletik von Spielern. Das wird auch der Projectability helfen.