NFL-Rundschau nach Woche 11: Die AFC

Guten Morgen.

Die iranischen Nationalspieler haben gestern mit ihrem Schweigen bei der Nationalhymne ein lautes Zeichen der Solidarität mit den Opfern der landesweiten Proteste gesetzt – vor dem Hintergrund möglicher direkter persönlicher Konsequenzen für sich oder Familienmitglieder ein seltener Moment an echter Courage im Spitzensport. Respekt. Die Weicheier in den europäischen Fußballverbänden könnten sich eine Scheibe abschneiden.

Stattdessen vernehme ich bloß Heuchelei, und auch wenn ich in meinem Leben schon unzweifelhafte dumme Dinge gemacht habe: Ich mag es nicht, wenn man mich für saublöd verkauft.

The Good? Ich hab noch nie sowas Dummes gemacht (und gesagt) wie Chargers-Headcoach Brandon Staley. Naja, mit einer Ausnahme, denn es muss heute, ein Jahr später, heißen:

Wenn Brandon Staley spricht, sollte man weghören

Staley ist die größte Enttäuschung der laufenden NFL-Saison. Nicht, weil die Chargers footballerisch versagen, denn Staleys Qualitäten als DefCoord standen schon letztes Jahr zur Diskussion, und dass er in Joe Lombardi die schlimmstmögliche Einstellung gemacht hat, schrieb ich in den Minuten nach seiner ersten Pressekonferenz.

Staley ist die Enttäuschung des Jahres, weil er mich getäuscht hat. Ich dachte echt mal, dass Staley als Analytics-Mind was auf dem Kasten haben würde. Aber Staley ist nicht mehr als heiße Luft.

Beziehungsweise: Jetzt nicht mal mehr heiße Luft.

Staley ließ gestern zum zweiten (!!!) Mal in dieser Saison ein kurzes 4th Down gegen Patrick Mahomes wegpunten

…um sich nach der zweiten (sic!) Niederlage zum zweiten Mal vor die versammelte Meute zu stellen und seine „Denke“ zu erklären:

Ich kann Staley nicht mehr sehen und hören. Get that guy off my Screen, er ist ein Blender, vom Footballmainstream verschluckt, und keine weitere Aufmerksamkeit wert.

Mahomes though… MVP-Favorit, und das turmhoch. Die Chiefs sind kein dominantes Team, und sie hätten in dieser Saison schon etliche Male verlieren können/müssen – darunter beide Male gegen die Chargers – doch dank des atemberaubendsten QBs ever hocken sie nach Woche 11 in der Pole-Position auf den AFC #1 Seed.

Erneut.

I mean: Solche Würfe sind bei Mahomes Routine:

Auch Timo Riskes Effizienz-Stats liegen die Chiefs trotz einer unterdurchschnittlichen Defense mittlerweile deutlich an #1 der NFL, und weil wir annehmen können, dass die Offense mit dem quantitativ wie auch in Vielfältigkeit an Fähigkeiten sehr breit aufgestellten Receiver-Corps in den nächsten Wochen eher besser als schwächer wird, ist ein fünftes AFC-Conference-Championship Heimspiel für die Chiefs der mittlerweile wahrscheinlichste Ausgang in den AFC Playoffs:

Das Restprogramm der Chiefs sieht:

  • Zuhause gegen die kaputten Rams
  • Bei den Bengals, mit denen man noch eine fette Rechnung offen hat, und die ohne Ja’Marr Chase antreten
  • Bei den Broncos
  • Bei den Texans
  • Zuhause gegen die Seahawks
  • Zuhause gegen die Broncos
  • Bei den Raiders

Vielleicht choken die Chiefs noch eins davon weg, denn eine komplette Mannschaft sind sie mit ihrem One-Man-Passrush, ihrer grauen O-Line und ihrem Heiß/Kalt Rushing Game nicht, und Andy Reid war schon öfters für einen unnötigen Stinker zu haben.

Aber selbst wenn: Die Buffalo Bills sind der einzige ernsthafte Konkurrent auf den #1 Seed. Doch auch wenn die Bills dank des knappen Siegs im direkten Duell den Tie-Breaker halten: Sie schauen in diesen Wochen selbst anfällig genug für einen eigenen Stinker aus.

Sonst so im AFC-Playoffrennen: Die Titans, die ohne zu glänzen mit 7-3 die AFC South quasi eingetütet haben und in Ermangelung von Konkurrenz ihr Ticket mit Heimspiel so gut wie in der Tasche haben.

Die Ravens und Bengals, die die AFC North unter sich ausmachen werden, aber beide genug Fragezeichen haben um sie für voll zu nehmen.

Und viermal die AFC East.

AFC Playoff-Bild

Division Leader

#1 Chiefs (8-2)
#2 Dolphins (7-3)
#3 Titans (7-3)
#4 Ravens (7-3)

Wildcard-Kandidaten

Bills (7-3)
Patriots (6-4)
Bengals (6-4)
Jets (6-4)
Chargers (5-5)
Colts (4-6-1)

Longshots

Jaguars (3-7)
Raiders (3-7)
Browns (3-7)
Broncos (3-7)
Steelers (3-7)

Bleeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeep

Texans (1-8-1)

Buffalo Bills

Die Bills haben in den letzten Wochen mehr gestruggelt als man Anfang der Saison annehmen konnte – aber mit 7-3 sind sie unter Wert geschlagen. Alle drei ihrer Niederlagen waren knappe bzw. unglückliche Dinger:

  • Das 19:21 gegen die Dolphins in einem Spiel, in dem die Bills Miami kurzes Feld mit einem Turnover schenkten, und im allerletzten Drive kurz vor der Endzone scheiterten
  • Das 17:20 gegen die Jets war die unerklärlichste Niederlage, Buffalo verschenkte eine 11-Punkte-Halbzeitführung und Josh Allen verursachte schon Ellbogen-geschädigt zwei Turnover in der zweiten Halbzeit
  • Beim 30:33/OT gegen die Vikings letzte Woche musste bloß: Ein 4th Down in der gegnerischen Endzone abgefangen werden. Ein Fieldgoal verschossen werden. Justin Jefferson den verrücktesten Catch des Jahres machen. Josh Allen nach dem entscheidenden Stop der Defense an der Goal Line in der eigenen Endzone den noch entscheidenderen Fumble zum Touchdown kassieren. Allen in der Overtime eine zweite Interception in der gegnerischen Endzone werfen.

Am Sonntag war das gegen die Browns eine Halbzeit lang keine Offenbarung. Aber: Die Bills hatten spätestens in der zweiten Halbzeit die wesentlich bessere Kadertiefe und haben das auch am Feld gezeigt, und sie haben die katastrophale Schwäche der Browns-Rushing-Defense mit einem Gameplan zum eigenen Vorteil genutzt, den wir so oft in der Vergangenheit nicht gesehen haben: Haufenweise erfolgreiche Laufspielzüge über Singletary und Cook.

Allen wirkte in der ersten Halbzeit physisch nicht 100% auf der Höhe, und es gab Momente, in denen Allen-Runs safer aussahen als Allen-Würfe. Nach der Pause hat Allen aber einige Befürchtungen widerlegt, dass sein Ellbogen ihn doch stärker negativ beeinträchtigt, und paar Pracht-Dinger angebracht.

Im Prinzip so wie letzte Woche gegen Minnesota: Auch damals hatte Allen einige Super-Würfe, aber ein paar Momente, in denen nicht klar war, ob die Fehler aus physischer Limitierung rühren, oder schlechtes „decision making“ sind.

Kritisch für die nächsten Wochen bei Buffalo:

  • Allen. Eh klar: Ist die kleine Formschwankung dem Ellbogen geschuldet, oder ist Allen einfach bissl übermotiviert/übergeschnappt im Moment?
  • Laufspiel: Wird nie die Stärke der Offense sein und gegen Cleveland hatten schon schwächere Mannschaften große Erfolge am Boden. Aber wenn es nur a bisssssssssssl was beitragen kann um gegen Spielende raus Minuten von der Uhr zu nehmen, dann wäre das ein willkommener Boost.
  • D-Line: Der Passrush ist nicht mehr so dominant wie zu Beginn der Saison. Die Tiefe ist aber noch da. Wenn die Front eher so spielt wie in der zweiten Halbzeit gegen Cleveland als in der ersten, macht das einen großen Unterschied.
  • CB Tre’Devious White. Schön langsam wird es Zeit, dass der CB1 zurückkommt um in den Playoffs so nahe wie möglich bei 100% zu sein, denn die Bills hatten jetzt oft genug, gegnerische WR1 zu kontrollieren, wenn vorne der Passrush nicht auf 120% gezündet hat.

Miami Dolphins

Miami steht wie Buffalo bei 7-3. Die Dolphins sind eine der sportlich besten Geschichten des Jahres, und die Offense feuert bis jetzt mit Tua auf QB aus allen Rohren. Jetzt ist bloß die Frage: Wie nachhaltig ist die Offense?

Wir können ziemlich sicher sagen, dass die Offense als Gesamtpaket dieser drei Elemente so gut zündet:

  1. Der fassungslose Speed von Tyreek Hill und Jaylen Waddle auf Receiver
  2. Das raffinierte Scheme von Mike McDaniel, der die Shanahan-Offense dank dieser Receiver einfach 5-10 Yards tiefer designt, so mit so vielen Aspekten im Playcalling nahe am Optimum bewegt, und 100%iges Vertrauen in seinen QB zeigt.
  3. Tua, der das Vertrauen zurückgibt mit seiner Kurzentschlossenheit, seinem fantastischen Timing und seiner Präzision als Werfer – und damit auch die eine oder andere nach wie vor vorhandene Schwäche der O-Line kaschiert.

Und wir können sagen, dass die Offense nur als Gesamtpaket dieser drei Aspekte so gut zündet – und dass die gewählte Reihenfolge keine zufällige ist. Den Tua mag der Trigger für die hohen EPA/Play-Zahlen sein, aber die Basis der Offense ist unfassbar hoch wegen den Punkten 1+2.

Ben Solak hat sich diese Offense in einem 18-minütigen Youtube-Clip vorgenommen, das ich empfehle anzuschauen, weil es gut die Stärken aufzeigt, aber auch, weil es die große Schwäche aufzeigt: Was passiert, wenn Defenses beginnen, Antworten zu finden und die extremen offenen Räume zustellen?

Die Frage ist nicht, „ob“ Defenses Antworten finden – sondern „wann“.

Wir wissen um die physischen Limitierungen von Tua als QB. Sein Arm ist nicht gut genug um ohne diese perfekten Umstände und ohne perfektes Timing auf allerhöchstem Niveau zu performen – wer es nicht glaubt, für den gibt es ausreichend Tape aus 2020 und 2021.

Wenn Defenses heuer keine guten schematischen Antworten mehr finden, können die Dolphins ohne weiteres in die Superbowl marschieren. Das High-End dieser Offense ist gut genug um alle anderen Teams zu schlagen, wenn sie die PS im Jänner/Februar viermal hintereinander auf den Boden bringen. Die Falcons von 2016/17 waren auch kein perfektes Team, aber ihre Offense war perfekt (*fast* zumindest…) und es ist die himmelschreiendste sportliche Ungerechtigkeit der letzten zehn Jahre, dass sie damals nicht mit dem Titel belohnt wurden.

Aber so einen Groove wie die Falcons-Offense bis zum letzten Spiel aufrecht zu erhalten, ist in der NFL nahezu unmöglich, denn auch wenn Defenses nachhaltige Antworten erst in der Offseason finden sollten, so können wir erfahrungsgemäß doch davon ausgehen, dass DefCoords bis zum Playoffstart den einen oder anderen Kniff finden werden, der die einfachsten Big Plays wegnimmt.

Alternativ muss nur einer aus dem Trio Tua/Waddle/Hill wegbrechen, und dann schaut die Gleichung völlig anders aus. QB-Verletzungen wären zugegeben für zwei Handvoll Topmannschaften ein kaum zu stemmendes Problem, aber in Miami könnte anders als z.B. in Kansas City oder Buffalo auch schon ein WR1 oder WR2 Ausfall zu einem kritischen Problem werden, der das Gleichgewicht der Offense empfindlich stört.

Mögliches Problem 2 ist auch schon lange bekannt: die Defense ist wahrscheinlich nicht stabil genug, um einen Offense-Durchhänger in einem Playoffspiel zu kompensieren. Das Passrush ist individuell nicht stark und tief genug um ohne hohe Blitz-Rate durchzukommen, aber Blitzing ist mit mehreren Sollbruchstellen in der Coverage eine Hochrisiko-Angelegenheit.

Super-spannend bei Miami ist auch der Long-Term-Outlook. Das Beispiel Tua zeigt, dass auch solides bis gutes Quarterbacking reicht, um unter bestimmten Umständen Elite-Effizienz aufzulegen. Aber ein 50 Mio/Jahr Tua als QB verhindert per Design diese Umstände, weil er Cap-Space blockiert. Wie werden die Dolphins dieses Conundrum angehen?

Hoffen, dass Tua weiter reift und irgendwann tatsächlich so eine Art neuer Brees (mit schwächerem Arm) werden kann, bei dem perfektes Timing und mega-Accuracy reichen um die Offense durchzuschleifen? Das ist mehr als wir nach Tuas beiden schwachen Jahren zum Einstand hoffen konnten. Aber halt auch a bissl viel Verlass auf den Black Swan um stabil in die Zukunft zu schauen.

Die offensiv Hoffnungslosen

Pats und Jets sind zwei Truppen, die ich nicht in den Playoffs sehen möchte. Keine Frage: Die Jets-Defense hat schon was mit der domniante D-Line um Quinnen Williams herum, und Sauce Gardner als Lockdown CB1. Aber die Jets-Offense ist dermaßen kaputt, da ist jede Lebensminute Verschwendung, diesen Shit anzuschauen.

Das Tape lügt nicht – und es zeigt einen QB, der irreparabel „broken“ ist:

Das Experiment Zach Wilson gehört beendet. Wilson hat eineinhalb Jahre *nichts* gezeigt, was ihn zu einem NFL-QB qualifiziert. Wilsons „gute“ Momente sind extrem rar, und die schlechten Momente sind so bodenlos, dass der Punkt, an dem Robert Saleh den Locker-Room verliert, nicht mehr weit sein kann.

Wilson war IMHO nie eine gute Wette, die Shanahan-Style-Offense in der NFL gut umzusetzen, weil er schon am College in einem ähnlichen System die Spielfeldmitte mied wie die Pest. Diese Tendenzen haben sich in der NFL verstärkt, kombiniert mit bedrohlicher Allergie gegen jeden Anflug von Passrush. Der späteste Zeitpunkt für Veränderung ist jetzt.

Die Pats-Defense ist zwar die #1 in EPA/Play, aber ich hege in sie weniger Vertrauen als in jene der Jets. Der Grund ist simpel: Schedule. Zweimal gegen Zach Wilson gespielt zu haben dürfen, sollte jede Defense per „automatic qualifier zu einer Top-5 Defense machen, aber die Pats haben auch sonst nicht viel Gescheites auf QB gesehen:

  • Siege gegen Trubisky, Goff, Brissett, 2x Zach Wilson und Ehlinger
  • Niederlagen gegen Tua, Lamar Jackson, Rodgers und Justin Fields

Das ist die Definition eines Mittelklasse-Teams, das die Spiele gewinnt, die man gewinnen muss – und gegen alles andere verliert.

Offensiv kommen die Patriots nur davon, weil die Jets noch erbärmlicher sind, denn was ihr QB Mac Jones fabriziert, geht auch schon lange auf keine Kuhhaut mehr. Die interessanteste Frage dabei ist, warum die Pats-Coaches mit dem Backup Bailey Zappe eine offensichtlich einfachere Offense spielen lassen als mit Mac. Ist es Sabotage von Belichick gegenüber Mac?

Wie auch immer: Stand jetzt ist es unwahrscheinlich, dass aus den Pats mit Jones auf QB noch einmal ein Contender wird, weswegen von einem QB-Wechsel spätestens in der Offseason auszugehen ist.

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