Kurt Warner – Das Erbe eines Aschenputtels

Sonntag, 3. Februar 2002, beim Zeitunglesen nach einem langen Skitag. Und was sehe ich? In der Nacht steht Superbowl XXXVI an! Nach dem Überfliegen des Artikels bleibt Klein-korsakoff ein Name im Kopf. Kurt Warner. Und der Name verschwindet so schnell nicht. Vielmehr ist er der Grund, warum ich mir das Spiel aufzeichne. Mein erstes Football-Spiel. Kurt Warner wird es verlieren. Trotzdem ist dieser Mann der Grund, warum ich zum Football gekommen bin.

Zartes Pflänzchen

Warner, Jahrgang 1971, spielte im College für die unbedeutenden Northern Iowa Panthers (Division I-AA) und hinterließ dort offenbar wenig bleibenden Eindruck. Warner wurde nicht gedraftet und im Sommer 1994 von den Packers im Vorbereitungscamp gefeuert. Warner gab daher den Footballcoach an seiner Uni und füllte irgendwo im Nirgendwo von Iowa Supermarkt-Regale auf, ehe er ab 1995 Warner dann für drei Jahre in der Arena Football League spielte, für die Iowa Barnstormers.

Die Wanderbühnenkünstler machte Warner zum zweifachen Arena-Bowl-Verlierer. Immerhin gut genug, um dem Leben als Regaljunge aus dem Weg zu gehen und von den St Louis Rams ein Probetraining zu bekommen. Warner versaute es. Dachte er. Doch der greise Head Coach Dick Vermeil, der vor Urzeiten mal die Eagles in die Superbowl gecoacht hatte, sah etwas in Warner, was alle anderen nicht sahen. Er schickte Warner erstmal im Frühjahr 98 in die NFL Europe nach Amsterdam.

Hey, der Mann ist ein Prophet!

28. August 1999. Dramatische Sekunden in St. Louis: Der QB der Looser-Truppe, Trent Green, windet sich am Boden. Die Worte des Radiokommentators dazu sind mir über die Jahre im Ohr geblieben. Selten hat jemand etwas so falsch gemeint und so richtig gesagt:

Kurt Warner, a capable backup, but certainly not what Trent Green is.

Warner war nun der Starter für die Widder. Und er machte seine Sache gut. Verdammt gut. Erste drei Spiele, jeweils drei TD-Pässe und diese unglaublichen tiefen Bälle. In Woche 5 zerlegte Warner die damals noch glorreichen 49ers mit 5 TDs. Der Aufstieg des Aschenputtels veranlasste Sports Illustrated zur berühmten Schlagzeile: „Who Is This Guy?“ Bald sollte es ganz Amerika wissen. Warner bombte die Rams zu einer sensationellen 13-3-Saison. Kreiert von OffCoord Mike Martz, stellte er mit RB Faulk, WR Bruce, WR Holt und Co. das, was man heute The Greatest Show On Turf nennt – einen so potenten und spektakulären Passangriff, dass die kleinen Rams plötzlich amerikaweite Beachtung fanden. Das Bild der gelben Widder-Hörner auf dem Spielfeld und der weißhaarigen Männer an der Seitenlinie ist prägend. Der Run endete schließlich in der Superbowl, nach einem weiteren sensationellen TD-Pass Warners zu WR Proehl im NFC Finale, dem einzigen grottigen Spiel der Offense (11-6 gewonnen). Die Superbowl XXXIV in Atlanta nutzte Warner, um mit 414yds einen bis heute gültigen Superbowl-Rekord aufzustellen. Das Spiel wurde aber durch die Defense entschieden: Letzter Spielzug, und LB Mike Jones wrestelte Titans-Receiver Kevin Dyson an der 1yd-Linie um. Rams 23, Titans 16.

Ein Jahr später war der Angriff wieder potent, die Rams scheiterten aber mit miserabler Defense schon in der Playoff-Runde eins. Herbst 2001 und Warner wurde zum zweiten Mal nach 1999 NFL MVP. Die Rams spielten so gut wie nie zuvor und nie mehr danach. 14-2, in den Playoffs sämtliche Gegner dominiert. Superbowl XXXVI, und die Rams spielten Mist. Trotz Fast-Comeback der Rams: 20-17 für die Patriots in jenem fantastischen, meinem ersten, Spiel.

In den folgenden Jahren geriet die Rams-Offense allerdings aus den Fugen. Warner wurde hinter der löchrigen Offense Line öfters abgeschossen als ihm lieb sein konnte. Im Frühherbst 2003 war der Mann nur eine oder zwei Gehirnerschütterungen vom Karriereende entfernt und wurde durch QB Marc Bulger ersetzt. Die Rams ließen ihren Sensations-QB fast so schnell fallen, wie er aus dem Nichts gekommen war. So durfte Warner im Herbst 2004 den Wegbereiter für den blassen Eli Manning geben, obwohl er für die Giants nicht mal schlecht spielte.

Und ab in die Provinz

Winter 2005: Ab nach Arizona. Wieder so ein Underdog-Team. Warner spielte unkonstant, bekam im zweiten Jahr mit dem glamourösen QB Matt Leinart wieder so einen Jungspund mit Ambitionen vorgesetzt. Doch Warner hatte auch mit 35 noch Biss und verwies Leinart schließlich im Sommer 2008 auf die Lehrbank. Der Herbst 2008 war Warners x-ter Frühling. Gemeinsam mit den WRs Fitzgerald & Boldin boten die Cards die „Greatest Show In The Desert“. Nicht so spektakulär wie die Rams-Ausgabe, aber die Cards wurstelten sich praktisch ohne Defense in die Playoffs. Und dort glänzte Warner mal wieder so hell wie zu Rams-Zeiten. Ich saß am TV und, obwohl durchaus mit Sympathien für Panthers, Eagles und Steelers ausgestattet: Ich drückte jeden verfügbaren Daumen für Warner. Nicht für die Cards. Sondern für Warner.

Als im Schlussviertel der Superbowl XLIII Fitzgerald mitten übers Feld zum Touchdown durchlief und die Cindarella-Cards in Führung gingen und Warner fast mit OffCoord Todd Haley am Spielfeldrand schmuste, tickte nicht nur Christopher D. Ryan am Kommentatorenpult fast aus. Ähnlich laut dürfte es in meiner Stube gewesen sein. Am Ende reichte es nicht zum Sieg. Trotzdem: Grandioses Spiel und grandioses Kapitel Sport. Auch dank Warner.

Im Jänner 2010 war Schluss. Nach einem phänomenalen Spiel von seiner Seite gegen die Packers wurde Warner von den Saints eine Woche später so abgeschossen, dass ihm fast sämtliche Extremitäten vom Körper gerissen wurden.

Warner Legends

Kurt Warner ist tief gottesfürchtig, was er auch bei jeder Gelegenheit zu bestätigen weiß. Das First-Things-First-Interview ist legendär. Warner hat eine geschiedene ex-US-Marine geheiratet (Brenda), einen behinderten Sohn adoptiert und insgesamt nicht den kleinsten Haushalt mit sieben Kindern und ein paar Hunden. Das alles ist nicht der Punkt.

Was mich an der American-Dream-Story „Kurt Warner“ so fasziniert: Wie viele Talente werden da draußen eigentlich verbrannt? Wenn ein völlig Unbekannter innerhalb einer Woche zum absoluten Superstar aufsteigen kann? Wie wichtig ist das Glück, dass der richtige Mann in der richtigen Situation am richtigen Platz mit dem richtigen Spielsystem ausgestattet wird? Vielleicht ist der beste Footballspieler aller Zeiten gerade irgendwo Fourth-Stringer.

Warner hat zwei ewige Underdogs in die Superbowl gebracht. Er hält die nach Passing Yards drei besten Superbowl-Performances ever. Alle drei absolute Kracher-Spiele.

Danke, Kurtl! Du gehörst in die Hall of Fame. First Ballot.

Superbowl-Countdown T-minus 7: Never Miss A Super Bowl Club

Die Pause zwischen Conference Championships und Super Bowl Sunday ist zwei Wochen lang. Und alle Jahre wieder nutzen Amerikas Medien ein-zwei Tage davon, alle vergangenen Super Bowls zu ranken. Jedes Jahr taucht die Frage nach der besten Superbowl ever auf – und man wird sich nicht einig. Vielleicht, weil die Jurymitglieder nur einen Bruchteil der Superbowls überhaupt selbst gesehen haben, die sie reihen.

Ich habe noch nicht viele Super Bowls LIVE gesehen. Ich habe mir gut ein Dutzend zusätzlich als volles Tape reingezogen. Aber Tape ist nicht LIVE und zählt nicht. Mein Ranking der LIVE erlebten Super Bowls würde so aussehen.

Super Bowl XLII - Manning to Tyree

Als David Tyree den Ball mit dem Helm aus der Luft klaubte, wusste jeder: Die Perfect Season ist nicht. - ©Andy Lyons/Getty

#1 Superbowl XLII. Obwohl ich Patriots-Sympathisant bin, war es das Spiel. Es gibt keine Perfektion und Momente wie Tyrees Catch mit dem Helm sind der Beweis, dass du selbst die meistdurchleuchteste Sportart wie Football nicht scripten kannst.

#2 Superbowl XXXVIII. Das erste Mal, dass ich wirklich LIVE dabei war, nachdem ich zwei Jahre zuvor „nur“ das Tape am Tag danach schauen durfte. Das bizarre Schlussviertel war eine blanke Antithese zu 45 Minuten Football bis dahin.

#3 Superbowl XLIII. Ein Spiel, in dem alles, alles passte. Großartige Plays, großartige Spieler und die vermutlich beste ORF-Sportübertragung, ach was, Sportübertragung allgemein, die ich jemals gesehen habe. Schade, dass Christopher D. Ryan kein Football mehr kommentiert. Aber die Hoffnung auf Rückkehr stirbt nie.

#4 Superbowl XLIV. Das Big-Move-Spiel. Soviel Eier, wie letztes Jahr in Miami über das Spielfeld gekullert sind, haben nicht viele NFL-Spiele gesehen. Ich bin kein Saints-Fan, aber was Sean Payton da an Playcalling ablieferte, war groß. Ganz groß.

#5 Superbowl XXXIX. In Erinnerung geblieben ist mir weniger das emotionslose Spiel oder McNabbs hilflose Aufholjagd gegen Ende, sondern eine Phase zu Beginn des Spiels, als die Patriots zwei INTs (eine zählte nicht) in zwei Plays machten und im nächsten Drive einen Fumble eroberten. Große Defense.

#6 Superbowl XLI. Das Hallenteam spielte im strömenden Regen die Mannschaft aus Chicago in Grund und Boden. Kein gutes Spiel, aber ein Sensations-Return (Stichwort Hester) und ein furchtbarer Quarterback (Stichwort Grossman).

#7 Superbowl XL. X-tra large sollte das damals sein. Pittsburgh hatte als #6 bizarre Playoffs hinter sich mit einem unglaublichen Spiel in Indianapolis. Das Endspiel war voller Pathos dank Jerome Bettis’ Homecoming. Aber es war furchtbar schlecht. Schlechte QBs, schlechte Kommentierung in der ARD und ganz schlimme Referees. Am Ende gingst du ins Bett und dachtest: Mönsch, Seattle hätte eigentlich gewinnen müssen.

Nun ist korsakoff ein Jungspund. Es gibt da aber vier Leute, die das Recht besitzen, ein authentisches Ranking zu erstellen. Vier Leute, die sich vor ein paar Jahren zu einem speziellen und sehr exklusiven Club zusammengeschlossen haben. Dem Club der (damals noch fünf) Leute, die bei jeder Superbowl von #1 bis #45 im Stadion waren. Dem „Never Miss A Super Bowl Club“.

Larry Jacobson aus San Francisco.

Don Crisman aus den New-England-Staaten.

Tom Henschel aus Tampa, Florida.

Robert Cook aus Wisconsin.

Und Stan Whitaker aus Denver, der vor ein paar Jahren ausgeschieden ist.

Fox Sports über ein missglücktes erstes Date, gefrorene Propeller, einen Brief in das Herz der NFL-Zentrale und das erste direkte Duell zweier Club-Mitglieder. Eine lesenswerte und sehr, sehr nette Geschichte.