NFL Draft 2015 – Die Offense im Schnelldurchlauf

Draft-Berichterstattung 2015 auf Sideline Reporter aus gegebenem Anlass in etwas geraffter Form, sozusagen back to the roots – Hauptziel ist es diesmal, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen wie der Jahrgang gestrickt ist. Für eine detaillierte Aufarbeitung der einzelnen Prospects verweise ich auf den deutschsprachigen Podcast Der Draft.

Der Draft 2015 wird vom 30. April (bzw. Nacht auf 1.5., 2h) bis zum Samstag, 2. Mai über die Bühne gehen, diesmal nicht mehr aus New York, sondern aus Chicago. Live drauf sein werden wie immer das NFL Network, u.a. mit einem Gratis-Stream auf der Homepage plus der sehr guten Coverage mit Mike Mayock im Gamepass. Der Draft.de wird wie schon letztes Jahr einen Youtube-Kanal schalten, der hier noch verlinkt werden wird (wird bei Roman John zu finden sein). Bei SPORT1 US scheint diesmal kein Draft in den Übertragungen auf.

Overview

Die Draftklasse 2015 hat ihre Schwerpunkte im Vergleich zu anderen Jahren eher in der Defense, mit exzellenten Passrushern und Defensive Linern, einer guten Klasse auf Linebacker und Cornerback. Einzig die Safety-Position gilt als richtig schwach besetzt.

In der Offense schwärmt man von der starken Runningback-Klasse. Auch Wide Receiver soll gut besetzt sein, allerdings im Vergleich zur Monster-Klasse von 2014 doch deutlich abfallen, was Qualität und Quantität angeht. Die Offensive Line ist besser besetzt bei den Tackles als auf Center und Guard, wobei der Jahrgang als eher durchschnittlich gilt.

Die Leuchtturm-Position Quarterback fällt hinter dem Top-Duo Winston & Mariota klar ab, und Tight End gilt als diesmal unterirdisch besetzte Gruppe.

Quarterbacks

Die Experten sind sich einig: Schwache Klasse hinter den beiden Stars des Jahrgangs, Jameis Winston von FSU und Marcus Mariota von Oregon – die beiden sind die Heisman-Trophy Gewinner der letzten beiden Jahre im College Football.

Winston gilt als das reifere Produkt, was NFL-Kompatibilität am Spielfeld angeht. Sein Spielstil strotzt nur vor Selbstbewusstsein und er kennt eine NFL-ähnliche Offense aus dem College. Man bemängelt an Winston, dem Spieler, aber seine ausbaufähige Qualität, Entscheidungen direkt nach dem Snap zu treffen, aber er soll recht gut antizipieren können.

Das zweite große Kriterium an Winston ist der Ballast, den er möglicherweise auf persönlicher Ebene mitschleppt. Vor zwei Jahren als erfrischender Sympath auf dem College-Horizont erschienen, hat sich das Blatt nach Vergewaltigungsanschuldigungen und Ladendiebstählen gewendet. Winston galt zwar als intelligent genug, dass ihm die Stanford University ein Stipendium anbot, aber man befürchtet, dass er auch Knalltüte genug sein könnte um sich selbst innerhalb von 2-3 Jahren in Abseits manövriert zu haben.

Charakterlich völlig unangreifbar ist dagegen Mariota, bei dem die einzige Herausforderung darin liegt, ihn als Spieler zu bewerten. Mariota ist etwas athletischer und flotter auf den Füßen als Winston, aber die Oregon-Offense hat recht wenig mit einer typischen NFL-Offense gemeinsam. Viele glauben, Mariota brauche einige Eingewöhnungszeit in der Liga.

Auch wenn es in den letzten Tagen und Wochen durchaus anderweitige Stimmungslagen zu geben schien und Mike Mayock in seinem letzten Ranking Mariota an #1 gerankt hat: Winston wird mit hoher Wahrscheinlichkeit an #1 von den Tampa Bay Buccaneers einberufen werden; Mariota könnte ihm irgendwann zwischen #2 und #6 folgen, wobei es als völlig ungewiss gilt was Tennessee an #2 machen wird – Mariota ist damit die Personalie, die den Flow im Draft wohl sehr früh entscheidend mitbestimmen wird.

Als drittbester Mann im Jahrgang gilt mit Respektabstand Brett Hundley von UCLA, gebaut wie ein NFL-Prototyp mit gutem Arm, aber noch recht unreif im Spielverständnis und von Pass Rush zu leicht aus dem Konzept zu bringen.

Alle Quarterbacks hinter Hundley sollen maximal das Potenzial zum Backup bzw. Third-Stringer haben. Garrett Grayson, Bryce Petty oder Bryan Bennett gelten als nicht wirklich ausgegorene Prospects mit teilweise ernsthaften Verletzungsfragezeichen.

Running Backs

Die Experten sind sich einig: Extrem gute Klasse an Runningbacks. Der Star der Runde ist Todd Gurley von Georgia, einer der komplettesten Power-Backs, die in den letzten Jahren den Weg in die Profiliga angetreten haben. Gurley gilt als so gut, dass er durchaus in der 1. Runde gedraftet werden könnte – was einen anhaltenden Negativ-Trend für die Runningbacks brechen könnte.

Gurley kommt allerdings von einem Kreuzbandriss zurück. Das zweite Problem: Sein Backup Chubb fuhr am College ähnliche Werte wie Gurley ein, was für manche der Beweis ist, dass auch Gurley letztlich nur ein Produkt seines Systems war.

„Produkt des Systems“ – bei solchen Phrasen ist Wisconsin und RB Melvin Gordon nie weit. Gordon ist in etwa so gebaut wie Gurley, 1.86m und knapp 100g, und fuhr die produktivsten Werte landesweit ein. Allerdings, wie so oft bei Wisconsin, in einer Offense der großen Vorblocker, gegen Schweizer Käse Defenses. Für manche (wie Mike Mayock) ist Gordon sogar der Top-Back des Jahrgangs, aber andere sehen in ihm ein one trick pony, einen Back, dessen größte Stärke seine „Vision“ ist. Als Fänger und Blocker wird er dir weit weniger bringen als Gurley.

Hinter diesem vermeintlichen Top-Duo stehen sich etliche verschiedene Spielertypen auf den Füßen und balgen sich um die Plätze zwischen zweiter und vierter Runde. Der bekannteste von ihnen ist Miamis leichtfüßiger Duke Johnson. Johnson hat über die letzten Jahre viel Gewicht zugelegt und gilt als mittlerweile hart genug für die NFL.

Tevin Coleman von Indiana fuhr letzten Herbst über 2000yds nach Hause und gilt bei einigen als Geheimtipp. Er ist ein beinharter Knochen, hat aber nur ein einziges gutes Jahr am College absolviert, Stichwort one year wonder.

An T.J. Yeldon aus Alabama bemängelt man, dass er im Passspiel und als Blocker zu wenig beiträgt. Der spindeldürre Ameer Abdullah von Nebraska fumbelt zu oft und lief mit 4.53sek eine erstaunlich langsame 40 Time für seine Verhältnisse. Abdullah gilt als super Typ: Mike Tanier hat ihm ein ausführliches Portrait spendiert, in dem er ihn mit Warrick Dunn vergleicht. Dunn kennen die jüngeren Leser vielleicht nicht, aber Dunn war vor 10-15 Jahren ein spektakulärer Back in Atlanta, mit dem man tausende Yards auf Madden zurücklegte und somit quasi „eins“ mit ihm geworden ist.

Boise States Jay Ajayi ist der beste, kompletteste der Boise-Backs der letzten Jahre, gilt aber als zu wenig explosiv um wirklich zur absoluten Spitze gezählt zu werden. Weil Runningbacks am College zu den bekanntesten Spielern zählen, wird es noch einige bekannte Namen in dieser Klasse geben, die erst in den mittleren oder späten Runden gehen: David Cobb von Minnesota, Karlos Williams von FSU, Jeremy Langford von Michigan State, Trey Williams von Texas A&M oder Buck Allen von USC sind Spieler, die mir ad-hoc einfallen würden.

Wer auf detailliertere Analyse steht: Das Blog Detroit Lions All-22 hat sich viele der Backs genau vorgeknöpft.

Wide Receiver

Die Klasse reicht in der Qualität nicht ganz an die Wunder-Gruppe vom letzten Jahr, aber es gibt viel Potenzial auch bei den Ballfängern von 2015. In der Scouting-Phase scheinen sich zwei Front-Runner herauskristallisiert zu haben: Kevin White von West Virginia und der sehr viel bekanntere Amari Cooper vom mehrfachen Landesmeister Alabama, wobei Cooper in den letzten Wochen von White überholt worden zu sein scheint.

Der Grund scheint vor allem das „Potenzial“ zu sein: Cooper war der klar produktivere Spieler am College und das auch über einen längeren Zeitraum (White hatte erst 2014 seinen Durchbruch), er ist der geschliffenere Spieler, aber in Punkto Athletik, Körpergröße und Speed kann er White nicht ganz das Wasser reichen. Somit erwarten die meisten Experten, dass White vor Cooper gehen wird – vielleicht in den Top-10.

DeVante Parker von Louisville geht als high character guy durch, der als einer der wenigen Top-Prospects in den letzten Jahren sein Senior-Jahr ausspielte. Parker muss jedoch sein Stigma als zu oft verletzter Receiver bekämpfen. Jaelen Strong von Arizona State gilt dagegen nicht als sonderliche Leuchte, aber mit seinen gut 2m als Mann, den du nur im dritten Stock anspielen musst und er wird dir den Catch machen, weil kein Defensive Back ohne Leitern so hoch klettern kann.

Irgendwo zwischen den beiden Erstgenannten und Parker/Strong soll sich in der Gunst der Mannschaften Dorial Green-Beckham einordnen: Körperlich und athletisch die Wunschvorstellung von Scouts, aber am College hatte er nie annähernd die Stats um sein Potenzial auch numerisch zu untermauern. Green-Beckham gilt als kompletter Rohdiamant, der nur wenig Ahnung von den Feinheiten im Spiel hat – wie auch, war er doch zuletzt das komplette Jahr 2014 gesperrt.

In seiner Vita stehen neben einem Uni-Wechsel von Mizzou zu Oklahoma (wo er nie spielte) auch mehrere Drogengeschichten und Probleme mit Frauen, die etliche Teams abschrecken werden. Zuletzt quartierte Oklahoma jedoch Green-Beckhams großen Bruder auf dem Campus ein – und schwupps galt Klein-Dorial als geläuterter Mann. Green-Beckham soll irgendwann zwischen Mitte 1te und 2te Runde gedraftet werden.

Naturgemäß gibt es hinter dem vermeintlichen Top-Quintett etliche weitere Prospects, von denen viele einschlagen werden, manche nicht. Ein Nelson Agholor von USC gilt als feiner #2-WR, wenn entsprechend gecoacht. Philip Dorsett von Miami/FL dagegen ist der Burner, der am College jedoch auch aus Verletzungsgründen nie genügend Catches machte um seine Ansprüche zu untermauern. Devin Smith vom Landesmeister Ohio State gilt als komplettes one trick pony, der nur die 80yds-Catches drauf hat (2014: 33 Catches für sensationelle 931yds, 12 TD).

Bei Breshad Perriman von Central Florida sprechen alle von boom or bust: Der Mann hat NFL-Gene in seiner Familie, aber zu viele Drops und ein unterirdisches Route Running schrecken ab. Das komplette Gegenteil ist Rashad Greene von FSU: Feiner Techniker, kennt alle Routen, aber zu klein um mehr als ein reinrassiger Slot-WR zu werden. Körpergröße ist auch für Tyler Lockett von Kansas State ein Kriterium: Ein kleiner Flitzer, aber nicht in der Lage, die Offense in einer NFL allein zu tragen. Tre McBride von William & Mary kannte ich noch gar nicht, soll ein brutal guter Athlet sein – halt schwer zu bewerten, weil er am College quasi keine adäquaten Gegenspieler hatte.

Nicht so recht einig scheint sich die Scout-Meute bei Devin Funchess von Michigan zu sein: Funchess sprang am College zwischen Receiver und Tight End umher, nie in der Lage, seine Position zu finden. Funchess hatte zu wenige wirklich gute Spiele um in einem Atemzug mit den Größen genannt zu werden, aber die Combo Körperbau & Hände machen ihn zu einem interessanten Mann – vielleicht auf Receiver, vielleicht aber auch auf Tight End.

Tight Ends

Alle sind sich einig: Die am schwächsten besetzte Position im Draft. Als bestes Prospect gilt Maxx Williams von Minnesota, dessen Vater bereits in der NFL gespielt hat. Bei ihm sind die Fragezeichen seine Unerfahrenheit (nur 25 College-Spiele), sein mittelmäßiges Run-Blocking sowie sein spaltender Charakter: Williams erklärt seinen Mitmenschen ganz gerne (zu gerne?) wie die Welt läuft.

Ein kleines Dark Horse ist Clive Walford von Miami/FL, der eine hervorragende Senior Bowl hatte. Walford steht in der Tradition der „Basketball-Tight End“ der letzten Jahren. Man bemängelt an ihm seine sehr „eigene“ Art, Bälle zu fangen und sein Route-Running, das aber von seiner Unerfahrenheit stammen dürfte.

Einzige weitere nennenswerte TEs sind Jeff Heuermann vom Landesmeister Ohio State und Blake Bell von Oklahoma. Bell hat seine Zeit als „Belldozer“ – Quarterback für Lauf-Situationen – hinter sich gelassen und versucht sich nun als Tight End. Am College habe ihm das enormen Respekt von seinen Mitspielern eingebracht, aber der Nachteil liegt auf der Hand: Bell muss erst lernen wie das mit dem Bälle fangen so geht.

Offensive Line

Einen echten Star-Tackle gibt es dieses Jahr nicht im Angebot, eher auf der einen Seite zu schleifendes Potenzial, auf der anderen fast fertige, aber eher mittelmäßige Produkte. Wobei, die letzten Jahre hatten wir immer wieder angebliche Top-Klassen in der Offensive Line – die Ergebnisse auf dem Platz waren jedoch extrem enttäuschend.

Viel schlechter können die Herren D.J. Humphries (Florida), Brandon Scherff (Iowa), T.J. Clemmings (Pitt), Andrus Peat (Stanford) oder La’el Collins (LSU) auch nicht sein. Peat gilt dabei als der „sicherste“ Pick, wohingegen man bei Humphries Angst hat, dass er sich in die jüngste Riege der Tackles à la Joeckel oder Fisher einreihen wird – Spieler mit weniger Power, dafür mehr Finesse. Scherff sehen viele als künftigen Offensive Guard, aber am College war er ein Left Tackle.

Insgesamt soll es keine schwache Klasse sein, was die Tiefe angeht, aber man vermisst das Aushängeschild, das in den Top 5 gedraftet wird.

12 Kommentare zu “NFL Draft 2015 – Die Offense im Schnelldurchlauf

  1. Pingback: Links zum NFL Draft 2015 - German Sea Hawkers

  2. Ich werde die Nacht wohl nicht aufbleiben. Kann man sich den Draft auch am nächsten Tag noch im Game Pass ansehen, oder geht das nur live?

  3. @Jack: an sich wird die Zeit beim Draft recht gut eingehalten – wie auch bei den Spielen, Stichwort TV-Übertragungen. Wenn ich mich recht erinnere kann es am Beginn ein paar Minuten Verzögerung geben zwecks Anmoderation etc. und grade in der 1. Runde, wo die Teams noch 5 Minuten Zeit haben, wird es teils etwas langatmig, weil die ganze Zeit gerne ausgenutzt wird.

  4. Die Teams haben sogar 10 Minuten Zeit in der 1. Runde!

    7 Minuten an Day 2, 5 Minuten an Day 3, wenn ich mich recht entsinne.

    Die volle Bedenkzeit wird aber eh selten ausgenutzt, 1. Runde dauert max. 4 Stunden.

  5. Ah, das hatte ich falsch im Kopf. War meist relativ müde, weil der Draft in der Zeit ist, wo ich das regelmäßige Ami-Fernsehen nicht gewohnt bin 🙂

  6. Ganze erste Runde live anzusehen lohnt sich mMn nicht. Das wird extrem gestreckt und ist sehr mühsam zum zuschauen. Nach dazu wo es bei uns mitten in der Nacht ist.
    As-live am nächsten Morgen wäre am besten. Ob das ohne Gamepass geht kann ich leider nicht sagen.

  7. wie weit fällt hundley noch ?
    Mittlerweile 5 Runde…
    Hab ich was verpasst ?

    alexander

  8. Hundley -> 5. Runde Green Bay.
    Recht gutes Szenario für den Spieler, der somit nicht schnell verbraten ist.
    Auch ein gutes Szenario aus Mannschaftssicht: Green Bay hat keinen #2-QB. Jetzt hat man Zeit, Hundley dorthin zu entwickeln.

  9. ja; jetzt ist er weg.
    Schefter retwittert gerade
    Eliot Wolf on Hundley: „You guys asked me last time if each draft pick has a chance to start, this one probably doesn’t.“ #GBpick

    Hab ich zuerst nich kapiert die Aussage, weil ich es an hundley festmachte, bis mir endlich klar war: GB und Rodgers.

    Der Junge bekommt Zeit und so hat das Fallen auch was positives für ihn.

    Ich habe mich aber schon sehr gewundert, warum ihn andere Teams mieden wie die Pest.

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