Oakland Raiders in der Sezierstunde

Voraussichtliches Abschiedsjahr der Raiders in Oakland – mit der Rückkehr eines Altbekannten. Ein Blick auf den Status quo.

Die Vorgeschichte ist bekannt: Die Oakland Raiders werden ab 2020 Wüstenkinder sein – sie ziehen dann in ihr neues, schmuckes Stadion im Glücksspielparadies Las Vegas in Nevada um. Bis dahin sind noch zwei Spielzeiten zu bestreiten. 2018 werden sie auf alle Fälle noch in Oakland spielen – aber nach der Saison läuft der Mietvertrag mit dem Oakland Coliseum aus. Ob die Raiders nächstes Jahr noch in Kalifornien spielen, ist derzeit offen – die Interessenten stehen nicht gerade Schlange. Trotzdem könnte der Herbst 2018 die letzte Spielzeit der Raiders in ihrer angestammten Heimat sein – ein krudes Umfeld für ein Team, das erstmals seit gut 15 Jahren wieder sportliche Relevanz erreicht hat.

Immerhin Mittelmaß

Vor drei Jahren hatte ich geschrieben, was man von Jack Del Rio zu erwarten habe: Dass er das Team aus tiefsten Tiefen herausführt, hinein ins respektable Mittelmaß – ehe er Platz macht für eine „große Lösung“. Del Rio hat insofern „geliefert“.

Oakland mag 2017 als 6-10 Team eine Enttäuschung gewesen sein, aber es ist keine „überraschende“ Enttäuschung. Zu oft hatten wir darauf hingewiesen, wie irreführend die 12-4 Bilanz von 2016 gewesen war (und viele Prügel dafür eingesteckt). Oakland 2016 – das war bis zum zugegeben bitteren Ende Glückskind galore – und gleichzeitig Comeback von den Toten. Oakland 2017? Eher meh. Ohne eine Orgie an knappen Siegen aber immerhin kein kompletter Kollaps.

Trotzdem nutzte Owner Mark Davis die Gelegenheit der mauen Saison um in der sportlichen Leitung mächtig umzubauen. GM Reggie McKenzie, der Architekt des Raiders-Umbaus, durfte zwar bleiben, aber Del Rio wurde gefeuert.

Der Talisman

Jetzt kommt der Neue Alte – des Owners Lieblingskind, und sowas wie ein Talisman für die Raider Nation: Jon Gruden, einstiges Wunderkind und aufgrund seines Arbeitsethos „Chucky“ (die Mörderpuppe) genannt. Gruden coachte die Raiders bereits um die Jahrtausendwende, ehe er vom damaligen Owner Al Davis – Marks Vater – an Tampa Bay verkauft wurde…

…nur um ein Jahr später mit den Buccs die Superbowl zu gewinnen…

gegen die Raiders. Von dieser Schmach hat sich die Franchise mehr als ein Jahrzehnt nicht erholen können. Mit Grudens Einstellung versucht Davis nun, die Zeit zurückzudrehen in glorreiche alte Zeiten. Die Sehnsucht nach dem alten Zauber treibt Davis an, gleich wie ihn die Sehnsucht nach neuen Dukaten ab 2020 dorthin treibt, wo sich die NFL bislang nie hingetraut hatte – ins Paradies der Sportwetter.

Grudens Einstellung ist nicht unumstritten. Er galt am Ende seiner sieben Jahre in Tampa trotz seines Superbowl-Rings nicht als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte. Zu verheerend war seine Bilanz auf seinem angeblichen Spezialgebiet, der QB-Entwicklung, gewesen. Zu wenig war gekommen in den Jahren, nachdem Gruden die Mannschaft Tony Dungys over the top geschubst hatte.

Gruden gewann nach der Superbowl 2003 kein einziges Playoffspiel mit den Buccs mehr. Zugegeben: Tampa wartet seit Grudens Entlassung vor 10 Jahren noch immer auf einen Playoffsieg. Aber auf der anderen Seite: Die Oakland Raiders warten sogar noch genau eine Woche länger als Tampa auf einen Playoffsieg – der letzte kam eine Woche vor der angesprochenen Super Bowl 2003.

Gruden verdingte sich in den 10 Jahren nach seiner Entlassung als TV-Pundit und ESPN-Cokommentator bei Monday Night Football. Jetzt kehrt er in das Tagesgeschäft zurück, und führte sich gleich mal mit steinzeitlichen Ansichten ein – sinngemäß: In Analytics versteckt sich Anal, und genau dafür ist Analytics.

Viel Platz ist für Gruden dort auch nichtmehr, denn just dorthinein schob Owner Davis dem Mann dann auch gleich nicht bloß die Anstellung, sondern einen 10-Jahres-Rentenvertrag mit 100 Mio. Dollar guaranteed Bezahlung – eben „Raider-like“. Halbe Sachen gibt es nicht.

Offseason-Moves

Die Offseason wurde weithin eher kritisiert. Die Transaktionen waren zwar viele, aber sie betrafen eher Oldies bzw. mäßig gehypte Rookies.

Man tauschte in der Offense quasi WR Crabtree gegen den 32-jährigen WR Jordy Nelson aus und holte den Slot-deep threat Martavis Bryant für einen 3rd Rounder aus Pittsburgh. Aufsehen erregend sind bei beiden Moves weniger die Spieler selbst, dafür die Preise, die man zahlte.

Nelson war 2017 völlig indisponiert und ein Schatten seiner selbst. Die Raiders boten vermutlich gegen sich selbst und machten trotzdem 15 Mio für zwei Jahre locker, während man den zwei Jahre jüngeren Crabtree nach Baltimore schickte.

Und Bryant ist eine wandelnde Drogensperre – für ihn einen 3rd Rounder hinzublättern kommt entweder einem genialen Move des Pittsburgh-GMs gleich oder einer Stupidität der Raiders-Verantwortlichen – oder beidem.

Auch auf Runningback etwas Nachbesserung: boom or bust RB Doug Martin (auch schon 29) kommt aus Tampa um die Stammrolle vom 32-jährigen RB Marshawn Lynch zu übernehmen.

Der Draft wurde zur „Al-Davis-Gedächtnisveranstaltung“, als man in jeder Runde den Prospect mit den jeweils besten Körpermaßen zog. So z.B. in Runde 1 den eher ungeschliffenen OT Kolton Miller, gebaut wie ein richtiger Tackle, aber noch nicht viel von Feinmotorik gehört. Der zweite Tackle kam in Runde 3 in Form von Brandon Parker. Der etatmäßige, zu beerbende LT Penn verwüstete als Reaktion darauf gleichmal seine Wohnung und prügelte Frau Penn krankenhausreif.

Dass Penn wirklich um seinen Stammplatz bangen muss, liegt aber aktuell eher an Penn selbst, denn an den beiden Rookies. Aktuell wäre am ehesten davon auszugehen, dass Miller auf der rechten Flanke beginnt, während Parker noch mindestens ein Jahr von Starter-Form entfernt ist.


Hilfe für die instabile Defense kam erst ab den Runden 2 bis 4 in Form von DT B.J. Hall, DE Arden Key, CB Nick Nelson und DT Maurice Hurst – alles Athleten, die am College durch superiore Athletik, aber zweifelhafte Ergebnisse aufgefallen waren bzw. im Falle Hursts die Einberufung eines ernsthaften medizinischen Streitfalls.

Der neue DefCoord Guenther war in Cincinnati dafür bekannt, dass er viel tiefe Zonendeckung mit Cover-2 Safetys spielen lässt, was automatisch den Druck von den Cornerbacks auf die Safetys schiebt, und vorne den Pass Rush in die Pflicht nimmt.

Oakland hat aktuell genau eineneinhalb Passrusher von Format: Der „eine“ ist DE Khalil Mack, Defensive-MVP der Saison 2016/17. Der halbe ist Bruce Irvin, der sich halbwegs ordentlich machte. Arden Key zu ziehen, war unter diesen Umständen ein vertretbarer Move: Key galt vor wenigen Monaten noch als möglicher 1st Rounder, ehe charakterliche Probleme auftauchten. Im Idealfall hat Oakland einen Rohdiamanten. Im worst case einen 3rd Rounder verschleudert.

Key wird im Idealfall Macks Counterpart, während die Tackles Hall und Hurst beide als potenzielle Passrusher über die Mitte gelten. Aber Hall kommt aus der Division 2 und muss sich erst mal gewöhnen, gegen Männer zu spielen anstatt gegen Knaben. Und bei Hurst dominierte am Draft-Wochenende die Meinung, dass ihn spielen zu lassen einer Unverantwortlichkeit höchsten Grades gleichkäme (Herzprobleme) – wobei: In Vergangenheit waren Positionskollegen wie Lotulelei oder Fairley auch ähnliche Fragezeichen wie Hurst, und die beiden waren mehrere Jahre lang produktive Spieler.

Ausblick

Grudens Einstandsreden waren Besorgnis erregend. McKenzies Rolle ist bestenfalls fragwürdig. Und völlig inspirierend war die Offseason der Raiders natürlich nicht. Aber immerhin wurden Schwachstellen angegangen. Offensive Line kannst du in einer von Star-Passrushern dominierten AFC West kaum genug haben, vor allem mit einem Pressure-aversen QB wie Derek Carr. Fantastische Defense-Prospects waren in Runde 1 nicht mehr zu haben.

Cornerback, nicht die allerwichtigste Position im Scheme von Paul Guenther, wurde immerhin mit Mid-Round Draftpicks adressiert. Die Position bleibt allerdings dünn besetzt. Rookie Nelson könnte schneller als erwartet in die Stammrolle gepresst werden, denn der einzige Manndecker von Format ist aktuell mit Gareon Conley (1st Rounder 2017) ein weiterer Jungspund ohne viel Erfahrung. Unter diesen Umständen muss man die Verpflichtung von Safety Reggie Nelson, der Guenthers Defense aus Cincinnati kennt, als „verlängerter-Arm-des-Coaches-am-Feld“-Move sehen.

Auf der anderen Seite waren das schon verdammt viele riskante Einkäufe: Ü30, Draft-Projects, Bryant – und gesalzene Preise.

Grundsätzlich fand ich die Idee aber in Ordnung, zuerst auf Offense zu setzen. Oakland hat viele Millionen in seinen Franchise-QB Carr investiert – ein Mann, von dem ich bekanntlich nicht überaus viel halte. Carr ist keiner der QBs, die im Alleingang eine Offense auf ein höheres Niveau hieven. Er braucht jede erdenkliche Hilfe – und vor allem Pass Protection. Es mögen verblüffende Namen gewesen sein, die Oakland draftete, aber es war die richtige Position.

Es war auch richtig, Ersatz oder Ergänzung für den fußlahmen RB Lynch zu suchen, den WR-Corp zu verbreitern und den Pass Rush zu stärken ohne finanziell Unvernünftiges wie 20 Mio/Jahr für Suh hinzublättern. Im Rahmen der Möglichkeiten, die diese eine Offseason bot, war das gewiss keine Vollkatastrophe.

Was Gruden nun daraus – und aus QB Carr – macht, steht freilich auf einem anderen Blatt Papier. Die Beweislast liegt bei Chucky.

7 Kommentare zu “Oakland Raiders in der Sezierstunde

  1. Danke für deine tollen Analysen zu den Teams.
    Als Raiders Fan sprichst du mir aus dem Herzen bzgl. Davis/McKenzie und Gruden. Irgendwie wirken all diese Entscheidungen so als ob man versucht ähnlich zu handeln wie 2002, nach dem Motto das hat ja schon mal funktioniert.
    Neben dem Move mit Nelson verstehe ich den letzten auf LB auch nicht. Man verlängert nicht mit Bowman der eine solide Saison spielte als einziger LB und holt den 35 jährigen Johnson von den Chiefs. Diese Methode auf ältere (teurere) Veteranen geht auch komplett gegen den Trend sich lieber mit mehr jüngeren (günstigeren) Spielern einzudecken in der Hoffnung das einer davon aufgeht. Auch den Cut von P King hab ich nicht verstanden und lässt laut den Gerüchten auch nur erklären das er Gruden „charakterlich“ nicht passte.
    Beim Draft fand ich die Reihenfolge der Positionen und die Trades in Ordnung (mit der Ausnahme von Bryant)
    Mit Carr habe ich das gleiche Problem wie du. Er wurde in den letzten Jahren wegen seinem schnellen Release extrem gelobt. Das ist aus meiner Sicht aber darauf zurückzuführen dass er den Passrush fürchte und daher versuchte den Ball so schnell wie möglich los zu werden, daher hatte die O-Line auch recht gute Statstiken war aber meiner Meinung deutlich überschätzt.
    Als Fan wünsche ich mir natürlich das einige der Rookies einschalgen und es eine gute Saison wird aber die Zeichen stehen für mich eher wieder auf eine 6-10 Saison.

  2. „Viel Platz ist für Gruden dort auch nichtmehr, denn just dorthinein schob Owner Davis dem Mann dann auch gleich nicht bloß die Anstellung, sondern einen 10-Jahres-Rentenvertrag mit 100 Mio. Dollar guaranteed Bezahlung – eben „Raider-like“. Halbe Sachen gibt es nicht.“
    Korsakoff at his best =)
    Wie immer Hammer von dir, freu mich schon auf die weiteren Sezierstunden. Insbesondere auf die der Packers

  3. Falls es eine von den Packers gibt, die waren die letzten Jahre auch nicht dabei (eher in den Zusammenfassungen)

  4. „““““““Falls es eine von den Packers gibt, die waren die letzten Jahre auch nicht dabei (eher in den Zusammenfassungen)“““““““““

    Na dann soll sich das schleunigst ändern 😀

  5. Gute Analyse.
    Hatte mich früher auch immer gefragt, warum Carr auf dieser Seite so mäßig wegkommt, aber Korsakoff hat Recht behalten. Als Cooper & Crabtree nicht mehr dominant waren, war Carr nur noch ein Durchschnitts QB. Gruden soll viel von ihm halten, hoffe das beste dass er Carr biegen kann, aber nach 4 Jahren in der NFL habe ich nicht die größte Hoffnung…
    Coop selber ist auch so ein Fall. Sie haben die Option Tag für das fünfte Jahr gezogen, wäre aber nicht überraschend gewesen wenn nicht. Der Junge muss nun liefern.

    Die Draft wurde m.E. zu viel kritisiert, sicher einige Project Picks, aber alle Prospects sind Projects und niemand weis es besser also warum nicht die Top Upsides nehmen? OL ist Prioritär, deswegen Good Job.

    Bin auch gespannt wo die Raiders nächstes Jahr spielen werden und was aus Mckenzie wird. Er hatte den Mumm die Raiders umzubauen und sollte dafür belohnt werden ,aber mit Gruden in der Organisation wird es für ihn schwer langfristig seine Macht zu halten.

  6. Huiii… Hackenberg zu den Raiders. Zu QB-guru Gruden. Zu dem Gruden, der ihn immer als First-Rounder sah. Dann sollte Hackenberg ja locker Third-stringer werden. Jetzt wird sich zeigen, wieviel dran ist an Grudens Vorhersagen. Man darf gespannt sein…

  7. Pingback: Das waren die Sezierstunden 2018 | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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