Die Rundschau nach dem NFL-Spitzenspieltag

Der 14te NFL-Spieltag war schon letzte Saison einer mit weitreichenden Folgen. Auch dieses Jahr hatte er einiges zu bieten. Oder anders: Wir sind endgültig im Dezember angelangt!

Die Nachbesprechung dazu ist schon online: Gestern war ich mal wieder bei den Sofa-QBs von Sportradio 360 zu Gast und durfte mit Nicolas Martin, Franz Büchner und Christian Schimmel über die Auswirkungen dieses Spieltags diskutieren – nachzuhören unter diesem Link:

Vertextet meine Rückschau nachfolgend.

Mahomes knackt die Super-Defense

Es war das viel gehypte Duell „Offense vs. Defense“ zwischen den Chiefs und der Power-Defense der Ravens – und die Partie hielt alles, was sie versprach. Kansas City gewann erst nach Overtime 27-24 und erhöht in der Siegbilanz auf 11-2, während Baltimore im Wildcardrennen zwar einen möglichen Big-Point vergibt, aber sich mit einer famosen Leistung nicht grämen muss. Die Ravens sind nun 7-6.

Baltimore überzeugte dabei mit einem knackigen Gameplan. Der lautete: Aggressive Defense, keine Scheu vor zusätzlichen Blitzes gen QB Patrick Mahomes – und damit brachte man den Sensations-QB der Chiefs auch lange Zeit gehörig in die Bredouille. Mahomes hatte mehr als drei Viertel – besonders das komplette dritte Viertel – an der Ravens-Defense zu beißen, die auch vor Cover-0 und 11 Mann innerhalb von 5 Yards um die Anspiellinie nicht zurückscheute.

Baltimore konnte sich das Spielchen erlauben, weil die Linebacker und Safetys sicher im Zugreifen waren und wenige Tackles verpassten – und weil vorne die Passrusher um Judon und Suggs immer wieder Lücken in der wackeligen Chiefs-Protection fanden.

Doch Mahomes wäre nicht Mahomes, hätte er nicht trotzdem Lücken gefunden. Schon kurz vor der Pause servierte er zwei spektakuläre Pässe für RB Ware und den famosen TE Kelce, und nach einem harzigen Quarter 3 fand er im Schlussviertel wieder zu sich, legte mächtige Drives hin.

Es hätte alles nichts genutzt, wenn Mahomes nicht mit 1:29 auf der Uhr bei 4th & 9 unter Hochdruck seinen schon heute berühmten 48-yds Pass für Hill an den Mann gebracht hätte, der allen Regeln traditionellem Quarterbackings widersagt: Ein Pass aus der Drehung hinein in die Doppeldeckung, und Hill kommt entgegen aller Wetten mit dem Ball runter. Manche argumentieren, Mahomes darf den Ball nicht werfen. Doch wir hatten letzte zwei Minuten, 4th Down und eine Chiefs-Run Defense, die die Ravens nach gut dünken Laufspiel machen ließ.

Mahomes brachte den Ball an, die Chiefs scorten den Ausgleich zum 24-24. Und sie schossen das entscheidende Fieldgoal in der Overtime, nachdem Kicker Butker mit auslaufender Uhr im Schlussviertel den ersten Matchball noch vergeben hatte.

Baltimore kann sich fett auf die Fahnen schreiben, einem famosen Gegner ein großes Spiel geliefert und ihn an den Rand einer Niederlage gebracht zu haben – teilweise waren es die Ravens, die dem Gegner ihren Willen aufoktroyierten. Kansas City kann sich glücklich schätzen, Mahomes zu haben. Und es kann sich damit brüsten, diesen schwierigen Test unter gar nicht so einfachen Umständen bestanden zu haben.

Am Donnerstag kommen die Los Angeles Chargers (10-3) in das Arrowhead Stadium – in einer Divisionspartie, in der möglicherweise der AFC-Topseed auf dem Spiel steht! Ein Sieg, und Kansas City hat den Divisionssieg zu 100%, und den #1 Seed zu 80%, in der Tasche. Doch es braucht nur die eine Niederlage, und schon übernehmen die Chargers die Pole-Position in AFC und AFC West.

Miami Miracle

So stark Chiefs vs. Ravens war, das spielerische Highlight des Tages lieferten die Miami Dolphins mit ihrem „Hook & Ladder“ im Stile der Boise State Broncos, einem einstudiert wirkenden finalen Spielzug, der wenige Sekunden vor Schluss über 70 Yards den Weg zum Touchdown in die Endzone fand und für einen sensationellen 34-33 Sieg der Dolphins sorgte.

Es gibt Leute, die Belichick Senilität nachsagen ob seiner Aufstellung von TE Rob Gronkowski als zusätzlichem Safety gegen eine Hail-Mary, die niemals kommen konnte, weil Tannehill schlicht nicht in der Lage ist, einen solch langen Pass zu werfen. Gronkowski war es dann auch, der den entscheidenden Tackle gegen RB Kenyon Drake stolpernd verpasste.

Gronkowski Aufstellung mag ein Fehler gewesen sein, doch es war ein 1:100 Spielzug. Ich weiß nicht, ob man dem Coach anhand dieser Situation einen Strick drehen sollte.

Aus spieltaktischer Sicht fand ich interessant, wie Belichick die Situation unmittelbar vor dem „Miami Miracle“ gecoacht hat: New England führte 30-28, hatte mit 20 Sekunden auf der Uhr ein 4th & Goal an der Miami 6 Yards Line. Belichick ließ das Fieldgoal zum 33-28 kicken. Miami konterte mit Kickreturn an die 31 und dem finalen Wunderspielzug.

Sollte man in so einer Situation besser ausspielen und auf TD gehen? Wie viel schlimmer ist eine 30-28 Führung, wenn der Gegner im Falle des Scheiterns ca. an der eigenen 6 eingekesselt ist, mit ca. 15 Sekunden auf der Uhr und in zwingender Not, ein Fieldgoal zu schießen?

Wo liegt der Unterschied in diesem Fall zwischen der Notwendigkeit, von der eigenen 25 (erwartete Startposition nach dem Kickreturn) einen TD erreichen zu müssen, oder von der eigenen 6 ein Fieldgoal? Sicherlich muss der Gegner in letzterem Falle weniger Raum zurücklegen, aber bei 15 Sekunden Spielzeit interessiert das doch niemanden? Ganz zu schweigen von der Chance, per Ausspielen die Chance auf die endgültige Entscheidung zu haben.

Wie geschrieben: Es war eine 1:100 Situation. Es gibt kein schwarz oder weiß, was Belichicks Entscheidung angeht. Aber ich frage mich, ob der Meister Bill im Nachhinein nicht wenigstens darüber nachgedacht hat, ob er nicht besser ausgespielt hätte…

Anyhow: Eine unnötige Niederlage aus Patriots-Sicht. New England verschoss einen Extrapunkt, ein weiteres Fieldgoal und Brady kassierte einen völligen Hirnfurz-Sack am Ende der 1ten Halbzeit, der ein fast sicheres kurzes Fieldgoal verhinderte.

Die Patriots sind damit 9-4 und aus dem Rennen um den Top-Seed. Fern von Foxboro wird es schwer für diese Mannschaft, auch wenn sie in Miami sehr lichte Momente im Passspiel und im Passrush hatte. Dank Pleiten von Houston (nun 9-4) und Pittsburgh (nach drei Niederlagen en suite nur noch 7-5-1) ist New England noch dick dabei in der Verlosung um den #2 Seed. Aber die Patriots in Arrowhead? Nun ja…

Miami ist nun 7-6 und hat im Wildcardrennen trotz ungünstiger Tie-Breaker eine theoretisch brauchbare Ausgangslage – getriggert vor allem durch den Spielplan: @Vikings, vs. Jaguars, @Bills. Zwei machbare Spiele und 9-7 könnte sogar schon reichen. Doch was die Qualität dieses Teams angeht: Ich weiß nicht, ich weiß nicht.

Jason Garrett: Eier wie ein Cowboy

Es hat sich herumgesprochen, dass die Dallas Cowboys brandheiß unterwegs sind: Vor einigen Wochen mit 3-5 Bilanz noch totgesagt, gewannen sie am Sonntag mit dem 29-23 in der Overtime gegen Philadelphia ihr fünftes Spiel hintereinander und stehen mit 8-5 Bilanz kurz vor Divisionssieg und Einzug in die Playoffs.

Und wie schon letzte Woche zuhause gegen die Saints war es ein spielerisch überzeugender Auftritt der Cowboys, die Philadelphia in der ersten Halbzeit an die Wand spielten und mit 6-0 Führung viel zu knapp in die Halbzeit gingen. Es war ein Spiel wie vor einigen Wochen Carolina vs. Seattle: Den Gegner komplett dominiert, aber die eigenen Chancen nicht genutzt.

Doch während die Panthers damals die Nerven noch wegschmissen und die Partie verloren, hielt Dallas lange genug dagegen um sich am Ende trotz eines blitzblanken Eagles-Comebacks in die Overtime zu retten. Dort ließ der sonst so oft übervorsichtige Jason Garrett ungewohnte Eier aufblitzen und ein 4th & 1 in der Eagles-Redzone ausspielen. Ergebnis: 1st Down, im nächsten Snap der (etwas glückliche) Touchdown zum Sieg gegen die Eagles, die keinen einzigen Ballbesitz in der Overtime bekamen.

Philadelphia ist damit 6-7 und so gut wie aus allen Träumen gerissen. Für den Titelverteidiger ist die Saison 2018 wie die Pest und zum Haareraufen. Man kann die Verletzungsseuche in der Secondary heranziehen, die stotternde Offense – oder aber auch folgenden Fakt: Zweimal Overtime gespielt, zweimal verloren mit Ballbesitz im fünften Viertel = 0:00 Minuten. Am Sonntag mischte sich unglückliches Schiri-Pfeifen dazu, das einen klaren Cowobys-Fumble im Opening-Kickoff trotz klarer Indizienlage nicht wahrhaben wollte und die Eagles damit mitentscheidende Punkte kostete.

Dallas dagegen mutiert so langsam zu einer echten Nummer in der NFC, vor der auch bessere Mannschaften Respekt zu haben beginnen. Als Katalysator für die Offense hat man ausgerechnet WR Amari Cooper ausgemacht, dessen Einkauf für einen 1st Rounder vor einigen Wochen so hart kritisiert wurde – auch von mir! Cooper hat in der Zwischenzeit 40 Catches für 642 Yards und 6 TD gescort. Viel effizienter als zu Saisonbeginn ist die Offense zwar nicht, aber sie macht die „Clutch-Plays“.

Dallas hat fünf Spiele en suite gewonnen, doch wie gut sind die Cowboys wirklich? Mit 7 bei den Eagles, mit 3 in Atlanta, mit 8 gegen Washington, mit 3 gegen New Orleans und nun in der Overtime gegen Philadelphia. Das sind alles keine Blowouts, aber es sind durchaus erspielte, nicht durch Zufall ergaunerte, Siege. Mit 8-5 hat man die NFC East so gut wie in der Tasche. Jetzt bleibt abzuwarten, ob sie im massierten NFC-Playoff-Feld etwas reißen können.

Chicago und die Rückkehr der Achtziger

Die NFC-Variante von „Offense gegen Defense“ war Los Angeles Rams @ Chicago Bears. Die Partie im Soldier Field entpuppte sich im Gegensatz zum famosen Duell in Arrowhead zu einer eher schweren Kost mit insgesamt sieben Turnovers und kaum 500 Yards Offense, in der am Ende die Bears mit 15-6 gewannen. Der einzige TD im Spiel war bezeichnenderweise ein „Big-Guy TD“ durch einen konvertierten Offensive Liner, der als Tight End den Ball in der Endzone fing.

Mächtig: Die Bears-Verteidigung ließ in 48 Dropbacks für QB Jared Goff nur 162 Yards zu, erzwang 3 Sacks und forcierte gleich 4 Interceptions! Eine wahnsinnige Vorstellung für diese wie in den 1980ern operierende Abwehr, die das Spiel trotz unterirdischer eigener Offense über weite Strecken kontrollierte.

Müssen die Rams nervös werden – letzte Woche in Detroit fast gestrauchelt, nun erstmals wirklich entzaubert? Oder ist es bloß ein alltäglichen „Mid-Season Slump“, ein Schlendrian, der bei einer Top-Defense und in einem schwierig zu spielenden Stadion wie dem Soldier Field durchaus mal eine Partie kosten kann – und der dann vergessen ist, wenn man nächste Woche das kaputte Eagles-Backfield abschießt.

Auf Bears-Seite ist auch nicht ganz klar, wie man die Partie liest: Überglücklich, weil man bewiesen hat, dass man auch 2018 noch mit Mega-Defense gewinnen kann und weil Headcoach Nagy immer einen offensiven Trickspielzug aus der Kiste holt um die Sache herumzureißen oder Zeitschinden von Pippo Inzaghi gelernt hat. Oder besorgt, weil QB Trubisky noch immer 2-3 völlig hirnrissige Pässe pro Spiel wirft, die entweder völlig offene Receiver verfehlen oder zu einer INT führen.

Fakt ist: Los Angeles verliert durch die Pleite und den gleichzeitigen (glanzlosen) Saints-Sieg in Tampa mit 11-2 Bilanz erstmal wieder den Top-Seed in der NFC. Chicago dagegen kann durchatmen: Playoff-Ticket und Divisionssieg mit dem Coup gegen die Rams wohl eingetütet. 9-4 Bilanz – das hatte den Bears im Sommer nicht jeder zugetraut.

8 Kommentare zu “Die Rundschau nach dem NFL-Spitzenspieltag

  1. „Ein Sieg, und Kansas City hat den Divisionssieg zu 100%, und den #1 Seed zu 80%, in der Tasche. Doch es braucht nur die eine Niederlage, und schon übernehmen die Chargers die Pole-Position in AFC und AFC West.“

    Die Chiefs müssten eigentlich auch im Falle einer Niederlage am Donnerstag den ersten Platz behalten- haben ja das Hinspiel in LA gewonnen und sollten vorerst den Tiebreaker haben (aufgrund der AFC Niederlagen von LA?)… so zumindest spucken es mehrere Playoff – Kalkulatoren aus…

  2. Vielleicht kannst du die Frage beantworten, Weshalb gibt es die SofaQuaterbacks eigentlich nicht auf Spotify? oder bin ich nur zu blöd sie zu finden?

  3. „QB Trubisky noch immer 2-3 völlig hirnrissige Pässe pro Spiel wirft“

    Die Müllkrone kann ihm in diesem Spiel Jared Goff aber streitig machen:
    Verfehlte Screenpässe, Bogenlampen auf offene CBs, Pässe über/hinter/vor die Füße der WR… Sowas habe ich in der NFL lange nicht mehr gesehen. Aber wie Du schon sagst, der fängt sich wieder. Mit Goff in Topform stehen die Rams bei mir (leider) ganz oben als Superbowl-favoriten. Tolles Team, tolles Coaching, aber dieser Suh soll bitte ohne Ring abtreten.

  4. @Jazzmine Das weiß ich eh, aber spotify ist halt recht unkompliziert und eigentlich sind fast alle für mich interessanten Podcasts eben dort zu finden.
    @korsakoff Danke werde mal nachfragen

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