Die wichtigsten Momente im NFC-Finale 2019

Ein Rückblick auf das dramatische NFC-Finale, das die Los Angeles Rams bekanntlich überraschend 26-23 nach Overtime in New Orleans gewinnen konnten. Es war eine Partie, die für Zerrissenheit sorgte. Auf der einen Seite spielerisch interessant, aber absurd gecoacht. Auf der einen Seite sehr spannend und mit einem unerwarteten Sieger – auf der anderen Seiten maßgeblich beeinflusst durch eine wahnsinnige Schiedsrichter-Fehlentscheidung.

Ze Call

Beginnen wir mit „The No Call”. Die Situation: 3rd Down gegen Spielende, Spielstand 20-20, bei geglückter Conversion erzielen die Saints entweder einen Touchdown oder ein 1st Down, mit dem sie die Uhr auf wenige Sekunden runterlaufen lassen können um kurz vor Schluss das entscheidende Fieldgoal aus kürzester Distanz zu schießen. Der Spielzug:

Dass das Foul von Rams-CB Robey-Coleman nicht gepfiffen wurde, beraubte die Saints der Chance auf der Ausbluten der Spiel-Uhr, gab den Rams ausreichend Zeit um noch vor der Verlängerung den Ausgleich zu schießen und schließlich in der Overtime zu gewinnen.

Angesichts der Trauben, die so hoch hingen – Superbowl-Einzug! – war die Fehlentscheidung bitter. Doch was sie in den Augen vieler Amerikaner zur „schlimmsten Referee-Fehlentscheidung aller Zeiten“, ergo unentschuldbar, macht, ist die Klarheit der Fehlentscheidung. Es gibt keinen Interpretationsspielraum beim Betrachten der Bilder: Der Cornerback räumt den Wide Receiver mit voller Wucht ab. Robey-Coleman gab das auch offen zu, analysierte en detail, warum er sich so verhielt (nicht ideal – ein TD wäre für die Rams besser gewesen als die fällige Strafe!).

Dass keine Flagge flog, verblüfft mit jeder Wiederholung mehr. Spielentscheidender Moment, beide Protagonisten im Zentrum des Geschehens, 1a-Abräumkommando. Keine Reaktion der Zebras.

Die Rufe nach Ausweitung der Video-Reviews auf Auslegungs-Entscheidungen wie DPI werden damit natürlich nur lauter. Die Rufe sind nachvollziehbar, aber eine Öffnung des Video-Replays ist nicht ohne Konsequenzen. Es ist die Öffnung der Büchse der Pandora – hin zu einem Spiel, das je nach Formulierung der Football-Juristen im Regelbuch wenig bis keine Auslegung mehr kennt. Wir haben in der jahrelang umstrittenen Catch-Regelung gesehen, wohin das führt. Und wir können uns auf eine ganze Latte zusätzlicher Geico-Werbeunterbrechungen freuen.

Die Fehler der Saints

War der Call also entscheidend für die Niederlage der Saints? Keine Frage. Doch die Prügelknaben sollten nicht allein die Schiedsrichter sein – Die Saints begingen in dieser bizarren Partie genügend Eigenfehler, die selbst mit dem No-Call einen Sieg erlaubt hätten:

Saints knieten beide Halbzeiten ab (HZ1 mit 0:23 und 1 Timeout, HZ2 mit 0:08 und 1 Timeout) und machten in fünf Redzone-Besuchen nur 2 TD. So gehst du in die Overtime, obwohl du das Turnover-Duell gewinnst (1:0, Brees-INT kam erst in der Overtime) und fast 100 Yards und 1.1 Yards/Play mehr machst als der Gegner.


Chancen im ersten Viertel nicht genutzt: Ich schrieb schon im Liveblog darüber. New England führte nach dem ersten Viertel 13-0, aber es fühlte sich angesichts einer dominant geführten Partie zu knapp an. Sean Payton ließ bei 4th&4 sowie bei 4th&7 innerhalb der Rams-10 yds Line Fieldgoals schießen – Hosenscheißer-Playcalling, nicht ganz so schlimm wie einst Mike McCarthy im NFC-Finale 2014/15, aber eben auch liegen gelassene Chancen.


Fake-Punt der Rams kassiert: Völlige Verblüffung auf Saints-Seiten, als der passionierte Werfer, Rams-Punter Johnny Hekker, mal wieder einen Fake-Punt versucht! Das, nachdem Hekker bereits im Hinspiel in der Regular Season als Werfer tätig war, und nachdem die Saints letzte Woche ihrerseits einen Punt-Fake versucht hatten. Die Defense sah aus wie der Ochs vorm Berg, kassierte die Conversion und sofort im Anschluss die ersten Punkte – und das Spiel war hernach nie mehr das gleiche.


Clock-Management: Die Saints hatten in den letzten Minuten im Schlussviertel bei Spielstand 20-20 die Chance, den Spielfluss zu kontrollieren. Doch stattdessen verschliefen sie ihren vorletzten Drive, mussten nach der Bullshit-No Call der Referees ein Fieldgoal schießen, das entweder zu früh (wenn man den Rams keine Zeit mehr zum Konter geben will) oder zu spät (wenn man nach dem Rams-Konter noch einmal den Ball will) kam. Kassierten den Ausgleich der Rams ohne noch einmal zurückschlagen zu können.

Ähnlich im AFC-Finale, das ich gestern anschaute: Clock-Management in den letzten Minuten mag Jammern auf allerhöchstem Niveau sein. Doch wir bewegen uns im NFC-Finale, und der Referenzpunkt Belichick ist der Beweis, dass man es schaffen kann – wenn man es versucht.


Ersten Overtime-Ballbesitz nicht genutzt. Die Saints gewannen danach sogar noch den Münzwurf, hatten erstes Ballrecht in der Overtime – und verloren das Spiel durch eine Brees-INT und anschließendes langes Fieldgoal aus 57 Yards, traumwandlerisch versenkt von „Legatron“ Greg Zuerlein.


Jenes finale Fieldgoal ist eine Entscheidung, die vielleicht nur mich interessiert: Kicken in der Overtime. Als Brian Burke seine Website „Advanced NFL Stats“ noch aktiv hatte, brachte er eine Overtime-Studie, die tatsächlich unter dem neuen Overtime-Reglement dazu rät, im ersten Ballbesitz erst ab rund der 30-28 Yards Line zu kicken und bis dahin zu punten. Grund: Zu hohes Risiko, durch Fehlkick dem Gegner den KO-Schlag auf dem Präsentierteller zu servieren.

Doch es war nicht erste Possession, sondern nach der Brees-INT bereits die zweite. Das Spiel befand sich also bereits im Sudden-Death – und ergo tweetet Burke: Richtige Entscheidung zu kicken.

Sean McCarthy

Rams-Coach McVay kann sich dafür rühmen, der jüngste Superbowl-Coach aller Zeiten zu sein, doch er beging einen kapitalen Bock seinerseits: Mit 5:16 bei 4th&1 an der gegnerischen 1 Yards Line und Spielstand 17-20 ein Fieldgoal zu schießen.

Aber du musst schießen um auszugleichen, denn was bringen mir siebenkomma fünf erwartete Punkte, wenn ich am Ende scheitere und mit leeren Händen dastehe?

Zu kurz gedacht. In dieser Situation auf Ausgleich zu spielen, kommt einer Harakiri-Strategie gleich, die das Schicksal der Partie komplett in Gegners Hände legt.

  1. Du hast die Chance auf 4-Punkte Führung anstatt des Ausgleichs
  2. Du stehst an der 1-yds Line. So nahe kommst du dem TD so schnell nicht mehr.
  3. Der Gegner hat eine potente Offense und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einmal scoren.

Ein 4th&Goal von der 1 hat eine 70%ige Verwertungsquote. Die Rams mit ihrer Power-Offense haben eine 68%-Verwertungsquote. Wenn du auch nur glaubst, dass du in 32% der Fälle in dieser Situation verwertest, ist der Call „Ausspielen“ bereits vertretbar. Mit 68% Verwertungsrate ist er ein Muss.

McVay ließ kicken, versenkte 12% Sieg-Wahrscheinlichkeit (von 55% bei Ausspielen auf 43% bei Kicken) und legte das Schicksal in die Hände von Sean Payton, Brees und den Referees. Freilich lieferten alle drei, sodass sodass McVay als Strahlemann in die Superbowl einzieht.


Wo McVay in 4th-Down Situationen versagte, scheint er im Play-Design wie erwartet neue Tendenzen und Momente eingebaut zu haben: Letzte Woche gegen Dallas war es Shotgun-Running, am Sonntag in New Orleans war es verstärkter Einsatz von 12-Personnel: 31% der Rams-Spielzüge kamen aus diesen 2-TE Formationen mit TE Everett und TE Higbee, nachdem McVay die komplette Saison über mit mehr als 90% 11-Personnel spielen lassen hatte.

Und es war erfolgreich: 72% Success-Rate für Spielzüge aus 12-Personnel, nur 41% Success-Rate für Spielzüge aus 11-Personnel für die Rams. In anderen Worten: McVay wartete mit dem Moment des Diversifizierens bis zu den Playoffs um nacheinander zwei Gegner mit unterschiedlichen Tricks zu überraschen.

Was wird er für Bill Belichick in der Superbowl bereit halten?

13 Kommentare zu “Die wichtigsten Momente im NFC-Finale 2019

  1. also der No-call ist natürlich in der Zeitlupe nicht zu entschuldigen.
    allerdings will ich auf den umstand hinweisen, dass es sicherlich aus einer anderen perspektive (die vielleicht der schiedsrichter hatte) tatsächlich so aussah, als dass beide zur gleichen zeit am ball waren. ich gestehe, ich habe das im Livebild als auch nicht so dramatisch empfunden. der Schiri hätte trotzdem erkennen können, dass der DB nicht zum ball schaut; aber sind halt auch nur menschen.

  2. Hier sieht man ganz gut die Position der Schiedsrichter und einen anderen Winkel:

    Für beide muss es eindeutig gewesen sein.

    Wie sieht es denn mit diesem Zitat von nfl.com aus?

    „But Robey-Coleman quickly added he was told by an official that the ball was tipped, which would have made his contact legal — except for the helmet-to-helmet part of it.“

  3. Auch aus meiner Sicht haben die Saints das Spiel bereits in den ersten beiden posessions verloren. Allerdings waren die Messen dazu zum Zeitpunkt des No-Calls bereits gesungen, weil man konnte die Punkte schlechterdings doch noch holen.
    Genau darum ist diese Ref-Fehlentscheidung ja so bitter. Hätten die Saints zu diesem Zeitpunkt mit 8 Punkten geführt, wäre es halt eine Fehlentscheidung gewesen. Punkt.
    So aber war es die (wahrscheinlich) spielentscheidende Fehlentscheidung. Und dummerweise (für den Ref) ist sie unentschuldbar. Denn selbst wenn er geglaubt hat, der Ball sei an der Line getippt worden, war der Einschlag am Rande der Legalität. Und was lernt man bereits im Schiri-Anfängerkurs? Wenn Du auch nur ansatzweise denkst, da könnte was gewesen sein – leg eine Flagge hin. Zurücknehmen geht immer, nachträglich hinlegen nicht.
    Das Schlimmste ist aber (aus meiner Sicht), dass nun an vielen Stellen wieder den Schiedsrichtern die Schuld am Scheitern der Saints gegeben wird – die haben aber gar nicht gespielt und können auch keine Punkte machen. Das Spiel haben die Saints verloren – ganz alleine.

  4. You had me with „Und wir können uns auf eine ganze Latte zusätzlicher Geico-Werbeunterbrechungen freuen“!

  5. Vielleicht sollte sich McVay für den Superbowl auch noch einen Coach anstellen, der ihm die Auswirkungen der jeweiligen calls auf die Sieg-Wahrscheinlichkeit einflüstert ;).

  6. Als langjähriger stiller Leser möchte ich mich nun endlich auch einmal zu Wort melden. Zuallererst ein riesen Kompliment und Dankeschön an korsakoff für deine fantastischen Einblicke in den Football. Ich besuche diesen Blog seit 2011 beinahe täglich.

    Meine Frage an euch alle: Wenn Robey-Coleman nach dem Spiel sagt, er habe DPI begangen, um einen Touchdown zu verhindern, macht er dann nicht eine gewaltige Fehlüberlegung? Touchdown in dieser Situation ist für die Rams doch das viel bessere Ergebnis als ein neues First Down für die Saints (als Folge der DPI) mit der Möglichkeit, die Uhr runterlaufen zu lassen und ein Fieldgoal zu kicken, oder habe ich da etwas falsch verstanden?

  7. Richtig beobachtet – ich habe das oben im Text auch schon geschrieben:

    Der Cornerback räumt den Wide Receiver mit voller Wucht ab. Robey-Coleman gab das auch offen zu, analysierte en detail, warum er sich so verhielt (nicht ideal – ein TD wäre für die Rams besser gewesen als die fällige Strafe!).

    Es fällt mir jedoch schwer, seine Handlungsweise zu kritisieren. Sie war nicht optimal, aber wer in aller Welt denkt in diesem kurzen Moment an Game-Strategie.

    Die Rams hätten vermutlich die Order ausgegeben, intentionalen TD aufzugeben, wenn die Saints an der 10yds-Line gestanden hätten. Aber sie waren irgendwo jenseits der 30.

    Ich denke nicht, dass man von einem Cornerback, der das ganze Leben darauf trainiert wird, Leute zu stoppen, erwarten kann in diesem Moment an Game-Theorie zu denken.

    Schon gar nicht, wenn man ein Coach ist, der von der 1yds-Line ein Fieldgoal schießen lässt.

  8. Wirft Brees in der OT keine INT und die Saints scoren einen TD, redet man nicht so extrem über den Call.
    Die Saints hatten das Glück den Cointoss zu gewinnen und vermasseln es das dann trotzdem.
    Ob das alles schlechtes Karma wegen Bounty Gate ist?
    Wobei das Playcalling oder die Ausführung in den Plays davor auch alles andere als optimal war.
    (Also vor nicht gegebenen DPI)

    Der Get Back Coach ist derStrength and Conditioning Coach der Rams, am College gibt es sowas öfter.

    Man könnte selbst das konservativerer Coach das ausspielen rechtfertigen:
    Wenn man nicht in die Endzone läuft steht der Gegner an der eignen 1 in der denkbar
    ungünstigen Positionen für die eigene Offense.
    Worstcase wäre in dem Drive der Offense ein gegenerischerer TD. Dann ist das Spiel garantiert verloren.
    Würde man nicht an der 1yds Linie stehen, sondern an der 5yds Linie würde ich den Kick verstehen.

  9. @korsakoff: Ich habe deinen Text wohl zu wenig genau gelesen, my bad!

    Ich stimme dir zu, dass dem Verteidiger in dieser Situation nicht viel Zeit bleibt, die spieltheorethisch richtige Entscheidung zu treffen. Wenn man aber bedenkt, welch grossen Einfluss ebensolche spieltheorethischen Elemente auf den Ausgang eines Spiels haben, müssten doch solche Situationen durch die Coaches besser vorbereitet werden, damit in der Hitze des Gefechts der Spieler bereits weiss, was zu tun ist.

  10. Es gibt einzelne Beispiele von hervorragender „Situational Awareness“ diesbezüglich, aber ich kann verstehen, dass man NFL-Spielern zuzüglich der vielen Informationen, die sie vor und nach dem Snap verarbeiten müssen, nicht auch noch zumuten möchte, dass sie wissen, wo und wann sie den Spieler tackeln sollen.

    Zumal es sich um einen antrainierten Reflex in der Situation handelt.

    Wenn sie in „Choke-Hold“ Reichweite sind, vielleicht ja. Aber das waren die Saints noch nicht.

    Eines der krassesten Beispiele zum Thema situative Awareness war das SEC-Finale 2012 im College Football. Der Receiver machte den Catch, der die Uhr auslaufen ließ. Abklatschen wäre besser gewesen. Doch als der Receiver, der sich sicherlich gedanklich vorbereitet hatte, das verstand, war es bereits zu spät. Er hatte den Ball bereits gefangen – aus Reflex.

    (ab ca. 30 Sekunden)

  11. „Ob das alles schlechtes Karma wegen Bounty Gate ist?“ (Klappflügel)
    Gegen viele andere Teams wäre das ein absolut valider Aspekt, aber: auf Seiten der Nomaden-Rams stehen sowohl Ndamukong Suh als auch Aquib Talib…

  12. Auch wenn die Fehlentscheidung absolut unentschuldbar ist – ich finde es gut wie konkret und klar du darauf hinweist, dass die Saints haufenweise Chancen hatten und es oft genug in dem Spiel selber verbockt haben.

  13. Pingback: New Orleans Saints Draft Recap 2019: Nach Brees kommt das Ende der Welt | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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