San Francisco 49ers in der Sezierstunde

Die San Francisco 49ers gehen als Vizemeister in die neue Saison. Die Superbowl-Niederlage dürfte auch Monate nach dem 4th-Quarter Kollaps noch schmerzen – es war eine bittere, weggeworfene Chance.

Auf der anderen Seite: Man hat sich nicht allzu viel vorzuwerfen. Die Kritik an Headcoach Kyle Shanahan fand ich überzogen und scheint stark von alten Narrativen („28-3 reloaded“) getrieben zu sein, auch wenn Shanahan mit seinem bitteren Time-Management kurz vor der Halbzeit genug Material für Selbstanalyse mit in die Offseason nahm.

Doch Punkt ist: Die 49ers spielten eine bockstarke Saison, besser als man sie erwarten konnte, sie führten in einem intensiven, engen Superbowl bis kurz vor Schluss. Es waren Kleinigkeiten wie ein paar verpasste Pässe von QB Jimmy Garoppolo – Kleinigkeiten, die dem Gegenüber Mahomes in der Crunch-Time nicht passierten.

Shanahan wurde schon mit einem neuen Vertrag belohnt: Der noch drei Jahre laufende Vertrag wurde durch einen neuen Sechsjahresvertrag ersetzt, Shanahan gehört ab sofort wohl zu den 4-5 bestbezahlten Coaches in der NFL. Das ganze ist nicht unverdient, schließlich gilt Shanahan als einer der besten Play-Designer und Play-Caller in der NFL.

Man darf jetzt aber gespannt sein, wie es in Zukunft weitergeht, denn die Offense ist am besten in den Metriken, die als nicht so stabil gelten:

  • Sie baut auf kurze Pässe (aDOT von 6.5 Yards, #31 der NFL) mit hohen Yards-after-Catch Werten. Insgesamt gilt jedoch der vom Quarterback stärker beeinflusste „Air-Yards“ Teil als der deutlich stabilere in einer Pass-Completion.
  • Sie baut recht stark auf dem Laufspiel – immerhin nicht mehr ein Laufspiel, das rein auf Wide-Zone baut, sondern mittlerweile recht stark verfeinert wurde und viele Power-Elemente beinhaltet und damit Variabilität hat. 48% Early-Down Rushing in spielneutralen Situationen ist eine der höchsten Laufspiel-Raten in der NFL.

Positiv: Hohe Play-Action Quote und sehr viel Pre-Snap Motion. Das erleichtert dem Schlüsselspieler das Leben extrem.

Der Quarterback

Jimmy Garoppolo bekam nach der Superbowl viel auf die Fresse. Bei aller vielleicht berechtigten Kritik: Garoppolo ist zwar schon seit 2014 in der NFL, doch 2019 war seine erste „volle“ Saison. Dafür lieferte er mit Effizienz-Werten im oberen Mittelfeld relativ gut ab – Garoppolos Gesamtbild ergibt in etwa einen Quarterback knapp außerhalb der Top-10.

Garoppolo glänzt als exzellenter Game-Manager. Er ist recht sicher im Verwalten der Play-Action Offense, macht aber kaum herausragende Plays. Er begeht ziemlich wenige Fehler – allerdings wenn, dann sehr auffällige wie der ™übersehene-Linebacker™ underneath. Das führte zu einigen vermeidbaren Interceptions.

Auffällig an Garoppolos Spielweise 2019: Er ging fast nie tief, nur in 6.5% der Fälle. NFL-Schnitt ist doppelt so oft. Wenn er allerdings tief ging, war es ultra-effizient. Das deutet darauf hin, dass a) die Offense eben perfekt geschemt war und b) Garoppolo wirklich als verlängerter Arm des Coaches am Feld genau das machte, was ihm Shanahan aufgetragen hatte: Sicher spielen, keine Fehler begehen, Rest erledige ich an der Seitenlinie mit meiner gefinkelten Offense.

Garoppolo ist damit vielleicht kein QB, der dich allein aus der Scheiße reitet und deine Offense durch kritische Zeiten trägt. Ein sehr guter, passender Starter in diesem System ist er jedoch allemal.

Offense

Und jetzt kommt der große Knackpunkt: Auch wenn die 49ers-Offense in den letzten Playoffs mit wahnwitziger Rushing-Offense glänzte und alte Football-Pundits zu einem letzten Spritzer brachte, bleibt der Knackpunkt das Passspiel. Dort dokterte Shanahan über zwei Jahre an einer idealen Besetzung herum – doch erst mit dem Einkauf von WR Emmanuel Sanders mitten in der letzten Saison stimmte das Gesamtbild endlich zusammen und blühte der Angriff wirklich auf.

Der präzise Route-Runner Samuel schaffte Räume für den jungen WR Deebo Samuel, der als Rookie eine Offenbarung war. Doch der 33-jährige Sanders ist nun weg – und Samuel erlitt vor wenigen Tagen einen komplizierten Beinbruch; Einsatzbereitschaft in den ersten Wochen fraglich, mit Risiko möglicher Komplikationen.

Ohne die Möglichkeit, in der Breite, also „außen“ mit seinen Receivern das ganze Spielfeld zu nutzen, verliert Shanahans Offense einiges von ihrer Aura. Haben die 49ers Waffen in der Hinterhand, die diese Ausfälle einigermaßen kompensieren können?

Es gibt da den Rookie-1st Rounder Brandon Aiyuk, den letztes Jahr als #3 eingesetzten Kendrick Bourne, das ewige Talent Dante Pettis oder Jalen Hurd. Auf einen Rookie willst bzw. kannst du dich nur ungern verlassen. Bei Bourne und Pettis deutet erstmal nichts darauf hin, dass sie eine valide #1 abgeben. Bleibt Hurd, ein ehemaliger College-Runningback, der einer Kolumne von Peter King zufolge in der Niners-Organisation extrem hoch geschätzt wird.

Die Konstante im Receiving-Corp ist TE George Kittle, nach PFF nicht bloß der beste Tight End in der NFL, sondern sogar der insgesamt dominanteste Offensivspieler. Kittle ist fraglos als Catcher und als Blocker eine Wunderwaffe und genau der richtige Trigger für Shanahans Offense, die bis zum Snap und oftmals darüber hinaus so ungern preisgibt, was ihre wahre Intention für den nächsten Spielzug ist.

Aber reicht das? Was, wenn diese Offense wieder wochenlang nach Breite sucht und sich im schlimmsten Fall auf Kurzpassgedaddel über die Runningbacks verlassen muss?

Bleibt die Offense Line: Letztes Jahr war sie okay, nicht herausragend. Im Pass-Blocking war sie in der unteren Liga-Hälfte klassiert (55% Pass-Block Win Rate, #26 und #18 im PFF-Ranking). Left Tackle Joe Staley trat zurück, doch mit Trent Williams konnte man nicht nur einen langjährigen Pro-Bowler aus Washington loseisen, sondern vielmehr einen fast perfekten Scheme-Fit: Williams blockte lange Jahre für Shanahans Offense in Washington – es waren prinzipiell seine besten Jahre. Er ist auch mit dem einen Jahr Spielpause eher Upgrade als Downgrade gegenüber Staley.

Defense

Die große Überraschung bei den 49ers war 2019 aber die Defense, lange Jahre ein Sorgenkind. Doch nicht nur lösten sich die Pass-Rush Probleme mit dem Einkauf von EDGE Dee Ford sowie der Einberufung von EDGE Nick Bosa mit dem #2 Overall Pick in Schall und Rauch auf, nein, viel wichtiger: Die personell kaum veränderte Secondary fand zu sich!

San Francisco war im Jahr 2018 die #32 nach PFF Coverage Grade. 2019 war man die #2 der NFL – und das schlug sich in sämtlichen wichtigen Rankings nieder: #2 Pass-Defense nach EPA/Pass und #2 Overall Defense nach DVOA.

Doch Defense ist nicht stabil und es gibt nun einige greifbare Anhaltspunkte für Skepsis:

  1. Nach dem sensationell guten Saisonstart gegen einen inferioren Schedule war die Niners-Defense in der zweiten Saisonhälfte schon nur noch die #14 nach EPA/Play.
  2. Pass-Coverage ist besonders instabil. CB Sherman ist 32 Jahre alt. Wie lange kann er seinen Level noch halten? Dahinter spielten CB K’waun Williams und CB Emmanuel Moseley eine sehr brauchbare Saison, doch die Nummer 4 Witherspoon war immer wieder ein Knackpunkt und wurde nicht ersetzt.
  3. Auf Safety vertraut man auf Jimmy Ward und Jaquiski Tartt. Tartt ist nur Mittelmaß und Ward hatte nach fünf harzigen Jahren seine Breakout-Saison. Kann er sie halten? Wenn nein, gibt es keine Tiefe dahinter.
  4. DT Buckner wurde an die Colts verkauft. Beim Verkaufspreis des #13 Overall Picks ein verständlicher Move aus wirtschaftlicher Sicht, doch kurzfristig bestimmt eine Schwächung der so dominanten Front Seven. Rookie-DT Javon Kinlaw wird ihn kaum von Tag 1 an adäquat ersetzen.
  5. Buckner war ein konstanterer Spieler als DL Arik Armstead. Armstead war nach drei schwachen Jahren der Breakout-Spieler. Was, wenn man seine Jetons auf den „falschen“ D-Liner gesetzt hat?

Positiv immerhin: LB Fred Warner hat sich in Pass-Deckung als fähig erwiesen und der letztes Jahr teuer in Free Agency geholte LB Kwon Alexander kehrt nach Verletzung zurück.

DefCoord Robert Saleh wurde für die wundersame Entwicklung der Defense gefeiert, doch seien wir mal ehrlich: Schematisch hat er nicht viel geändert. Der Einkauf der Flanken-Rusher Bosa/Ford wurde extrem gefeiert, doch nach Pass-Rush Win-Rate war die Defense „nur“ oberes Mittelfeld, keine absolute Spitzenklasse. Ob die Verteidigung ihren Level halten kann, steht und fällt damit, ob die Secondary noch einmal qualitativ ein ähnliches Jahr hinlegen kann.

Ausblick

Nicht alle Offseason-Moves waren brillant. Der Buckner-Verkauf machte wirtschaftlich Sinn, doch hätte man nicht besser ihn anstatt Armstead gehalten? Nicht wenn man den #13 Overall Pick bekommt und von den Buccs einen Gratis-4th Rounder per Trade abstaubt – aber um dann einen weiteren Defensive Tackle in Kinlaw mit dem 1st Rounder zu draften?

Und dann einen sehr teuren Trade für Aiyuk als zweiten 1st Rounder hinzulegen? Immerhin bekam man OT Williams für einen Mid-Rounder und staubte in Runde 7 in WR Jauan Jennings einen möglicherweise perfekten Scheme-Fit für Shanahans Offense ab. Doch auch Jennings ist mehr Slot-Runner als echter Wideout.

Die 49ers sehen trotzdem erstmal aus, als seien sie gebaut um zu bleiben. Nach zwei Jahren „underachieving“ unter der neuen sportlichen Leitung GM Lynch/Shanahan ging San Francisco 2019 zum ersten Mal alles auf:

  • 13-3 Bilanz und bis zur letzten Minute Superbowl keine Niederlage mit mehr als einem Score
  • Pythagorean von 12.0 Siegen
  • #5 Overall Team nach DVOA und #3 nach EPA/Play
  • „nur“ +4 Turnoverbilanz
  • #23 nach Adjusted Games Lost

Was nach 6-10 und 4-12 wie eine sagenhafte Leistungsexplosion aussah, war auf den zweiten Blick vor allem das Fügen von Bausteinen, die in den ersten beiden Jahren unter Shanahan aus verschiedenen Gründen noch nicht gepasst hatten – mal war es der verletzte Quarterback, dann zu geringe Tiefe in der Defense oder eine 5-10 Bilanz in engen Spielen 2017 und 2018.

Sicher war es ein Befreiungsschlag, aber die Zweifel für 2020 sind handfest:

  1. Ein fettes Fragezeichen auf der Receiver-Position.
  2. Eine eigentlich volatile Offensiv-Philosophie
  3. Weniger Qualität und Tiefe in der Defensive Line
  4. Hält die Secondary noch einmal so gut?

Immerhin: Der Saisonstart liegt günstig: vs Cardinals, @Jets, @Giants, vs Eagles, vs Dolphins, vs Rams und @Patriots. Ein 6-1 ist ohne weiteres denkbar, ehe die happigen Brocken kommen.

Außerdem: Shanahan ist als Coach zu gut um einen richtigen Einbruch zu befürchten, aber gleichzeitig kann man nicht davon ausgehen, dass man noch einmal den #1 Seed in der NFC erreicht – und nur der garantiert in Zukunft das Freilos in Runde 1.

Schlagen die Risikofaktoren auf Receiver und Cornerback nicht zu hart ein, bleiben die 49ers aber erstmal im NFC-Rennen vorne dabei. Wenn nicht, dann kann das sehr schnell in Richtung 9-7 gehen.

3 Kommentare zu “San Francisco 49ers in der Sezierstunde

  1. Da hat sich ein kleiner Fehler eingeschummelt:

    „Der präzise Route-Runner Samuel schaffte Räume für den jungen WR Deebo Samuel, der als Rookie eine Offenbarung war.“

    Der präzise Rute-Runner Sanders…

  2. Und selbst in meinem kurzen Text ein Fehler… 😉

    „Der präzise Route-Runner Sanders…“

  3. Pingback: All-32: San Francisco 49ers 2020 Preview | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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