Cleveland Browns in der Sezierstunde

Weitere weggeschmissene Saison der Cleveland Browns mit ihrer 3-13 Bilanz und dem Dauertheater um den lernresistenten QB Johnny Manziel. Was folgte, war die mittlerweile gewohnte Reinigungsaktion in Front-Office und Trainerstab – die dritte in vier Jahren Ownerschaft von Jimmy Haslam. Was diesmal aber anders war: Der Plan.

Die Zahlendreher

Haslam geht mit seinen Browns einen neuen Weg. Schon die Installation von VP of Football Operations Sashi Brown (Brown kommt nicht aus dem klassischen Football-Metier) ließ aufhorchen. Als Haslam dann schier noch am selben Tag den Quereinsteiger Paul DePodesta von den New York Mets als „Chief Strategy Officer“ einstellte, war das Erstaunen komplett.

Schon der Titel DePodestas klingt schräg und ist in der Footballwelt bis dato unbekannt. Er allein rief Ressentiments hervor – „haben wir noch nie gebraucht und trotzdem gewonnen“. DePodesta ist ein Branchenfremder, und spätestens seit Buschmann wissen wir, dass solche Sofa-QB eh nix taugen. DePodesta hat zwar als Student Football gespielt, aber nicht dort wo die wirklichen Experten spielen, sondern nur in der Highschool bzw. FCS.

Ich habe vor Jahren Michael LewisMoneyball gelesen, jenes Buch, das den Approach der Oakland Athletics aus der Major League Baseball vor ca. 12-15 Jahren nachzeichnet, als der damalige GM Billy Beane eine arme (für US-Sportligen Verhältnisse) und dahinsiechende Franchise mit der operativen Nutzung von Advanced-Metrics revolutionierte und trotz minimalem Budget mehrfach fast zum Titel führte.

Mittendrin damals als Beanes Lieblingsassistent: Der College-Frischling DePodesta. DePodesta wurde als engagierter Jungspund gezeichnet, der mit Laptop unterm Arm in den Scouting-Sitzungen saß und Beane in seinem Rant gegen die traditionell denkenden Scouts mit Datenmaterial fütterte. DePodesta stieg damals schnell bei anderen Franchises auf und feierte mit seiner analytischen Herangehensweise große Erfolge.

Nun also Football. Ich bin nicht der Meinung, dass DePodesta per se unqualifiziert ist, weil er vom Football keine Ahnung hat. Ein Controller kann in verschiedenen Gebieten funktionieren, wenn er das eine Handwerk versteht: Den Umgang mit Zahlen. Als „Mathlet“ musst du natürlich die Grundprinzipien des Sports verstehen, aber ich denke, wir können beruhigt annehmen, dass DePodesta als Amerikaner schon mal von 1st Down, Touchdown und Salary-Cap gehört hat. Können wir also ’nen Haken dahinter setzen.

Chief Strategy Officer klingt erstmal nach einem möglichst hochtrabenden, nichtssagenden Ausdruck. Ich nehme aber an, dass damit weniger Betriebsberater in Anzug und Krawatte gemeint sind, sondern der Aufbau einer analytischen Abteilung mit einem weitsichtigen Plan. DePodesta scheint mir hierfür mit seiner Fähigkeit, aus der Vogelperspektive auf einen Haufen Probleme zu schauen, mehr als geeignet.

Das operative Management scheint Sashi Brown zu übernehmen, der das Personalwesen im Spielerkader übernommen hat. Brown kommt nicht aus dem Scouting-Metier, sondern ist studierter Jurist. Brown soll sich in der Vergangenheit mit den Coaches und dem gefeuerten GM Farmer mehrfach gefetzt haben. Auch er gilt als Verfechter von Zahlenwerk. Vielen treibt das den Schweiß auf die Stirn.

Die Angst vor dem Teufelsgebilde „Analytik“ kann ich nehmen. Etliche Teams nutzen bereits diverse Formen von vertiefender Statistik, nicht zuletzt die erfolgreichste Mannschaft der Gegenwart, New England. Zahlenwerk, Scouting und Film-Studium schließen sich nicht gegenseitig aus. Advanced-Metrics ist keine Neuigkeit in der NFL, steckt aber noch immer in den Kinderschuhen. Die Browns gehen lediglich einen etwas krasseren – oder: „lauteren“ – Weg mit dem Versuch, eine innovative Kultur in ihrer Organisation zu implementieren.

Der Chef am Platz

Der dritte Mann im Bunde ist der neue Head Coach Hue Jackson, der vom Divisionskonkurrenten Cincinnati kommt. Jackson hat nicht die glücklichste Trainer-Vita hinter sich: OffCoord in Atlanta, als den Falcons die Vick-Geschichte um die Ohren flog, und später Headcoach in Oakland. Immerhin: Der Mann kennt sich mit Totalschäden aus.

Trotzdem kommt Jackson mit vielen Vorschusslorbeeren aus Cincinnati: Er hat aus gutem Spielermaterial eine hervorragende Offense gebastelt und aus QB Andy Dalton das Maximum herausgekitzelt. Zumindest in der abgelaufenen Saison spielten die Bengals wirklich eine vielfältige Offense, der man ansehen konnte, dass sich hier im Hintergrund ein Coach Gedanken gemacht hatte wie er sein Material am besten einsetzt.

Jackson wird vor allem für die Offense zuständig sein. In einer Franchise, in der der „Chef-Scout“ sozusagen ein Krawattl-Träger ist, wird er bestimmt auch mehr Mitspracherecht in der Auswahl der Spieler haben als ein gewöhnlicher Chefcoach. Die Defense wird wohl fast gänzlich DefCoord Ray Horton überlassen. Horton kommt aus Tennessee, wo er in der Headcoach-Frage „übersehen“ wurde. Horton gilt wie Jackson aus durchaus flexibler Coach. Menschlich ist er eher der „härteren“ Sorte zuzuweisen.

Das Zentrum der Macht

Damit haben wir fast alle der wichtigen Figuren herausgearbeitet: DePodesta als Stratege, Brown als Chefplaner des Kaders und des Scoutings, und mit Hue Jackson ein neuer Headcoach. Fehlt noch „Team President“ Alec Scheiner, die rechte Hand von Owner Haslam. Scheiner scheint operativ nicht ins Geschäft einzugreifen.

Und damit sind wir beim springenden Punkt der ganzen Story in Cleveland: Der Hierarchie. Ganz oben steht natürlich der Owner nebst besserer Hälfte und Scheiner. Darunter haben wir ein Dreigestirn – kein Dreieck! – mit DePodesta für die längerfristige Strategie, Brown für das operative Geschäft und Jackson für den sportlichen Tagesablauf. Alle drei scheinen nicht direkt in einer Beziehung zueinander zu stehen, sondern direkt dem Owner bzw. Scheiner zu unterstehen – das klingt nicht ungefährlich.

Einen traditionellen GM im NFL-Sinn gibt es nicht. Sashi ist der GM-Tätigkeit vermutlich am nächsten bzw. wird als verkappter GM fungieren, sprich das Scouting aufbauen und Kader und Salary-Cap managen.

Im Idealfall sieht das so aus: DePodesta baut langfristig ein Analytics-Department auf als Controlling-Instrument für Brown, der die Informationen für Scouting und ein optimierte Cap-Management nutzt und einen konkurrenzfähigen Kader für Jackson baut. Jackson wiederum profitiert von einem starken Kader und kann die in-Game Informationen für Entscheidungen im laufenden Spiel nutzen.

Das Gebilde kann sich natürlich auch in die andere Richtung entwickeln: DePodesta, Jackson und Brown sind allesamt direkt dem Owner unterstellt, und beim ersten Problem heult sich jeder einzelne sofort auf dem Schoß von Haslams Frau Dee aus und anstelle miteinander spricht man übereinander, und der „langfristige Plan“ wird vom ungeduldigen Haslam in nicht einmal 12 Monaten für gescheitert erklärt und wir haben im Jänner 2017 das nächste Regime am Start.

Der Kader

Der Kader wird in den nächsten zwei Jahren radikal umgekrempelt werden, beginnend mit der QB-Position, wo viele erwarten, dass die Browns mit einem ihrer beiden ersten Picks einen Quarterback draften werden (Picks #2 und #32). Versuchen wir mal, die vorhandenen „Building-Blocks“ zu identifizieren.

Es gibt wichtige Bausteine in der Offensive Line: LT Joe Thomas, den man wohl behalten will. Oder den jüngeren RT Mitchell Schwartz, sollte er keinen zu teuren Vertrag verlangen. C Alex Mack wird wohl seinen Abgang forcieren, aber hier hat man in Cameron Erving letztes Jahr einen potenziellen Nachfolger gedraftet. Auch OL Joel Bitonio gilt als grundsolider Mann.

Auf der WR-Position hofft man auf die Rückkehr des zuletzt zwei Jahre lang gesperrten Drogenproblems Josh Gordon. Bei den Runningbacks dürfte der quicke Duke Johnson für die nächsten zwei Jahre gesetzt sein.

In der Defense lauten die strategisch wichtigen Spieler NT Danny Shelton, CB Joe Haden und vielleicht Safety Tashaun Gipson. Möglicherweise hat man Passrusher Barkevious Mingo noch nicht aufgegeben, hofft auf den Durchbruch vom jungen, langzeitverletzten CB Ifo Ekpre-Olumu und setzt zumindest noch ein Jahr auf LB Dansby. Alle anderen Verteidigungsspieler sind entbehrlich.

Cleveland wird vermutlich um die 60 Mio. Cap-Space auf dem Transfermarkt haben, und besitzt die Draftpicks #2, #32 und #65 in den ersten drei Runden (der #32 Pick ist faktisch ein 2nd Rounder) – also mächtig Holz, um schon in der ersten Offseason Wirbel zu veranstalten.

Ausblick

DePodesta sagte auf seiner Eröffnungs-Pressekonferenz: Fortschritt im Sport ist nicht linear. Du kannst nicht 4, 8 und dann 12 Siege erwarten, sondern vielleicht 4, 7, dann 5 und erst dann 12. Haslam dürfte das mitbekommen haben. Nehmen wir also einfach mal an, dass der Owner zumindest drei Jahre Geduld aufbringen kann.

Auf dem aufbauend muss die Führungsmannschaft in Cleveland einen konkurrenzfähigen Kader basteln, dessen Spieler entsprechend entwickelt werden, damit man in einer schwierigen Division mit Baltimore, Pittsburgh und Cincinnati endlich einmal oben mitspielen kann.

Es sind neue Wege, die man in Cleveland versucht. Die neuen leitenden Köpfe sind allesamt für sich hervorragende Leute. Aber die Macht-Struktur wird ein kritisches Element. Ebenso die Geduld des Besitzers. Aber neue Wege zu versuchen, wenn die alten nicht gefruchtet haben, finde ich eine gute Idee. Die Browns sind das spannendste Projekt der NFL in den nächsten zwei bis drei Jahren.

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9 Kommentare zu “Cleveland Browns in der Sezierstunde

  1. Ich finde diese Analytic-Feindlichkeit ja lächerlich.
    Schon die Cowboys der 60er Jahre waren Analytics getrieben bzw mit einer vorform davon.

  2. Die Auswirkungen von DePodesta wird man erst in ein paar Jahren sehen können wenn er seine analytische Abteilung aufgebaut hat. In diesem Draft wird man noch keine Auswirkungen von ihm erkennen können. Ich erwarte eher, dass Hue Jackson die Spieler auswählt. Irgendwo glaube ich gelesen zu haben, dass Jackson auch GM Aufgaben übernimmt was die Spielerauswahl betrifft. Möchte mich darauf allerdings nicht festlegen.

    Grundsätzlich gefällt mir die Entwicklung seit Januar sehr gut. Jackson sollte erfahren genug sein um die dreifach Aufgabe HC/OC/Teilzeit GM auszufüllen.

    Da Gipson anscheinend die Free Agency testen möchte sind Pass Rush, Safety und Wide Receiver Positionen die man dringend angehen sollte. Ansonsten ist man relativ solide besetzt. Mit dem #2 Pick wird ein neuer QB geholt, der in McCown einen guten Mentor hat.

  3. Sollte Kaepernick wirklich auf den Markt kommen – sollten die Browns dann zugreifen? Was meint ihr?

  4. Ist Kap besser als die QBs, die zur Zeit in Cleveland sind?
    Ist Kap besser als ein rookie aus dem draft (zumindest kurzfristig)?

    Wenn beide fragen mit ja zu beantworten sind, sollte man zumindest drüber nachdenken. Er kostet recht viel und verlangt ein sehr spezielles System (auf jedenfall mehr als manch anderer). Aber auch mit Jonny Football hatte man ja einen mobilen qb und (vllt?) eine darauf eingestellte offene.

    Die Browns wären aus meiner Sicht nicht der unlogischste Spielort für ihn. Auch wenn ich mich als Hawks-fan schon auf viele epische qb-battles gefreut hatte

  5. Meiner Medinung nach bietet Kelly in San Francisco die beste Möglichkeit. Schafft er es hier nicht, wars dass. Woanders wird er kaum ein system finden, in das er passt….

  6. Pingback: Only in Cleveland? Andrew Luck! | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

  7. Pingback: Die furchtlose NFL-Vorschau 2016/17 | Die Kellerkinder | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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