NFC Championship Vorschau: Los Angeles Rams – San Francisco 49ers

Gestern Abend hat die Meldung von Tom Bradys Rücktritt Wellen geschlagen. ESPNs Adam Schefter und Jeff Darlington hatten die Breaking-News rausgehauen, die die Spatzen seit Tagen von den Dächern pfeifen – aber die Verkündung am Vorabend des Championship-Sonntags passte wohl nicht in Bradys Timeline, weswegen es erstmal Dementi aus dem Brady-Lager hagelte. Vom TB12 Account wurde sogar ein recht eindeutiger Tweet wieder gelöscht. Aber die Dementi betrafen nicht den Rücktritt selbst – sondern die Tatsache, dass er bereits eine Entscheidung getroffen habe.

Es ist weiterhin davon auszugehen, dass Bradys Karriere beendet ist. Dass Brady den sich abzeichnenden Abschied wegen einer zum falschen Zeitpunkt geleakten Meldung fortsetzen wird, gilt als unwahrscheinlich. Und damit zum NFC Championship Game.


Im NFC-Conference-Finale heute Nacht ab 00h30 wird das zweite Superbowl-Finalist ausgespielt – und zwar zwischen den San Francisco 49ers (12-7) und den Los Angeles Rams (14-5). Gespielt wird im SoFi Stadion von Los Angeles, aber erwartet wird Heimspielatmosphäre pro 49ers, da Tausende Second-Hand-Tickets unter der Woche an die Fans der Niners verkauft wurden.

Rams gegen 49ers ist das x-te direkte Aufeinandertreffen von Playcalling-Master Kyle Shanahan und seinem Buddy und Ex-Assistenten Sean McVay. Die beiden haben einst zusammen in Washington gecoacht und ausgehend von dort eine ganze Ecke an Coaches mit ihrem Stil an Football inspiriert. Ihre stilprägenden Playbooks stammen aus der gleichen Feder. Sie haben über die Jahre mit denselben Mitteln große Erfolge gefeiert und es damit als Headcoach zu jeweils einer Endspielteilnahme gebracht.

In den letzten zwei Jahren haben sich ihre Systeme aber deutlich auseinanderentwickelt. Wer das genau wissen will, dem empfehle ich nochmal Ben Solaks fantastischen Breakdown beim Ringer. Eine viel bessere Analyse habe ich zum Themenblock Wide-Zone, Shanny/McVay und Offense-Evolution in den letzten Monaten nicht gelesen.

Wer dafür zu faul ist:

1) Setzen.

2) Hier die Kurzzusammenfassung. Shanny und McVay haben beide bis 2017, auch noch 2018, stark auf das Wide-Zone-Scheme gesetzt, das auf Laufspiel fußt und bei dem sich die O-Line horizontal so bewegt, dass der dahinter laufende Runningback in das vielversprechendste Gap schießen kann. Je nach Birne im Hirn vom Runningback waren damit über Jahre eine Handvoll Yards als Startwert quasi garantiert – mit Option auf Big Plays. Als Defenses anbissen, schossen die Offenses mit Play-Action auf tiefe Crosser drüber und erzielten fantastische Raumgewinne.

Die extrem auf tiefe Routen aus Condensed-Formations fokussierten Rams wurden schließlich 2018 im Superbowl von den Patriots exposed, als Bill Belichick einfach 6 Mann an die Line of Scrimmage stellte (6-1 Defense) und damit der O-Line die horizontale Komponente wegnahm. Der sichtlich limitierte QB Jared Goff fand ohne den Support vom Rushing-Game in den beiden Spielzeiten darauf keine Antworten, weswegen die Rams mit einer auf Kurzpassspiel ohne YAC limitierten Offense schematische Evolution betreiben mussten um den Laden wieder in Gang zu kriegen.

Zum einen setzte McVay verstärkt auf Duo-Blocking (Power Block, in dem zwei Double-Teams ohne Pulling-Guard kreiert werden) switchten und dann vor fast auf den Tag genau einem Jahr (31. Jänner 2021) den Trade des Jahres einfädelten: Matthew Stafford für zwei 1st Rounder aus Detroit geholt. Ich schrieb damals:

Der Witz ist jetzt: Für die Rams könnte sich der Trade mit dem Upgrade vom sagen wir 22t-besten QB der NFL auf den zirka 11t-besten trotzdem ausgezahlt haben. Ein Quarterback, der alle Würfe draufhat, ist in einem QB-freundlichen System wie jenem McVays ein ziemlich attraktiver Move. Ich hatte erst vor ein paar Tagen über Stafford in San Francisco geschrieben – die Rams-Offense ist im Kern die gleiche, etwas anders intrepretiert.

Mit Stafford kann McVay eine komplettere Passing-Offense spielen, die mit vielen Empty-Sets und Spread-Aufstellungen eine tödliche Waffe gegen jede Form von Single-High-Defense stellt und nur noch in Spurenelementen an die alte Widezone-Zeit erinnert.

Wie in obigem Ausschnitt aus dem letzten Jahr angedeutet: Auch Shanahan wollte angeblich Stafford – musste sich dann aber trotz eines aggressiven Draft-Day-Trades für Rookie Trey Lance erstmal mit Jimmy Garoppolo begnügen, den verletzungsanfälligen QB, mit dem es die Niners schon einmal in die Superbowl geschafft haben und knapp an den Chiefs scheiterten. Garoppolo ist als furchtloser Pass über die Spielfeldmitte prädestiniert, um Shanahans System zu spielen, bietet aber wenig Upside darüber hinaus – und so ist der wahre Star in dieser Offense ist bis heute das System selbst geblieben.

Es ist das dynamischste Scheme der NFL. Downs ohne Pre-Snap-Motion sind eine Rarität, Receiver werden als Runningbacks aufgestellt, Fullbacks als Receiver, die Playmaker sind alle athletische Unicorns und im Flow killen Deep-Shots eine mental erschöpfte Defense, bevor sie überrissen hat, ob der letzte Play grad Lauf oder Pass war.

Shanahan spielt anders als McVay nur selten in 11-Personnel. Sein Ziel ist es, Defenses mit 21-Personnel (also Fullback in der Aufstellung) in Base-Personnel zu zwingen um dann mit dem um Counter- und Power-Rushing erweiterten Laufspiel drüberzulaufen. Jeder Spielzug baut auf dem vorherigen auf, Defense zu spielen erfordert gleich viel Physis wie Denksport, und am Ende squeezt Shanny so gute Effizienz aus dem eigentlich limitierten Mittelklasse-QB Garoppolo heraus, dass dieser seit Jahren in den Top-10 nach EPA/Play rangiert. Jeder gewissenlose Ökonome hätte angesichts solcher Effizienzmaximierung seine hellste Freude.

Warum Shanahan als weithin besserer Playdesigner gesehen wird als McVay? Shannys Offenses werden im Laufe einer Saison besser. McVays Offenses feuern im September, durchleben Krisen im November und schätzen sich glücklich, wenn sie bis Jänner im zweiten Frühling den Motor wieder in Schwung gebracht haben.

Aber McVay hat den QB, den sich Shanahan wünschte.

Nicht, dass Stafford der größte Superstar der NFL wäre (er ist es nicht). Aber bei allen Limitierungen durch größere und kleinere Bolzen, die Stafford unter Druck immer wieder einstreut, hat er doch den Arm um alle Winkel am Feld zu attackieren – und die Rams haben O-Line, Scheme und Receiver um all diese Winkel zu erlaufen.

3) Auf den Geschmack gekommen? Also Kurve kratzen und doch noch zum Ringer wechseln.

Wenn die Rams den Ball haben

Die Qualität der Rams-Offense sollte bekannt sein: Die O-Line ist #1 in Pass-Block-Win-Rate und dürfte heute wieder auf LT Andrew Whitworth zählen können, das Receiver-Trio den famosen Slot-Receiver Cooper Kupp als Wizard über die Mitte (Kupp legte schon fast 2200 Receiving-Yards und 18 TD auf und ist mit 3.2 Yards/Route die #1 der NFL-Saison), den aufblühenden Odell Beckham jr und den smoothen Van Jefferson ist individuell herausragend, TE Tyler Higbee ist ein guter Vollstrecker im 1-vs-1, dass Passing-Scheme straft jedes Single-High in Sekundenschnelle mit Big Plays ab.

Single-High war dann passenderweise auch die Strategie, die Defenses in der laufenden Saison immer seltener gegen die Rams einsetzen: In der ersten Saisonhälfte in noch etwa 90% der Early-Downs, später nur noch in etwa 75%. Als wahrscheinlich nicht nur indirekte Folge stotterte der Offense-Motor danach einige Wichen.

Stafford legt als QB etwas bessere Zahlen auf als seine individuelle Klasse wahrscheinlich hergibt. Aber das ist nicht der Punkt: Die Rams haben ihn geholt, um als Scheme-Executor mit angeflanschter Big-Play-Waffe die Superbowl zu gewinnen. Jetzt es fehlen noch zwei Siege.

Die Niners-Defense ist allerdings eine tricky Unit zu bespielen. Die Rams haben in den beiden Regular-Season-Spielen auch deutlich mehr Two-High gegen die Rams gespielt als der durchschnittliche Gegner.

Diese Defense ist personnel-wise super gebaut um die Stärken der Rams-Offense wegzunehmen: Sie blitzt fast nie, überlebt dank starker Defensive Tackles den Lauf mit seichten Boxen und droppt dahinter jeden verfügbaren Mann in Zone-Coverage, weil vorne vier Mann genug Druck auf den Gegner ausüben können, dass dem QB Hören und Sehen vergeht.

Oder in Staffords Fall: Genug Druck, um die notwendigen beiden Horror-Pässe des Abends zu erzwingen.

Nick Bosa ist als Edge-Rusher natürlich der Superstar und sein Flankenschutz um DT Arik Armstead oder Arden Key wird von zentraler Bedeutung für den notwendigen Dampf sein. Aber vielleicht ist in diesem Spiel Interior-Passrush noch entscheidenden – zumindest in den Regular-Season-Duellen machten die Tackles mit ihrer Beweglichkeit gegen die Guard und den Center einigen Radau.

Der Schlüsselspieler ist aber LB Fred Warner als der Mann, der die Coverage diktiert. Unter der Woche hat Seth Galina einen tollen Artikel über diesen Spieler als Schachfigur im raffinierten Scheme von DefCoord DeMeco Ryans geschrieben.

Warner hat die Range und die Spielintelligenz um die Zone-Defense auf seine ganz eigene Art zu supporten, Passing-Lanes zuzustellen, Nahtstellen dichtzumachen und aggressivere Spielweise der Safetys zu erlauben. Warner nimmt teilweise im Alleingang den WR3 aus dem Spiel (als Linebacker!), was erklärt, wie die 49ers seit einem Monat richtig gut überleben, obwohl sie keinen einzigen nominell hochklassigen Defensive Back im Kader haben.

Also nochmal: Hier kann man zu Warner lernen. Der Mann hätte den Superbowl redlich verdient.

Wenn die 49ers den Ball haben

Auch auf dieser Seite gilt: Die Stärken der Niners sind an den richtigen Stellen um den Rams weh zu tun. Die Niners werden laufen, laufen, laufen, und sie werden genügend Plays kreieren um Superstar WR/RB Deebo Samuel, TE George Kittle, WR Brandon Aiyuk und RB Elijah Mitchell mit etlichen Touches zu bedienen.

Sie werden eher selten über die Mitte laufen, denn dann rennen sie DT Aaron Donald direkt in die Arme. Dafür könnte es wieder die patentierten und schon im Museum hängenden Pull-Blocks von LT Trent Williams geben um das Laufspiel über die Flanken zu designen, was die Rams-Defensive Ends extrem fordern wird. Von Miller und A’Shawn Robinson werden ein ums andere Mal im Brennpunkt stehen. Wahrscheinlich werden die Rams wieder eine Art 5-Mann-Front spielen, mit drei „Down Linemen“ und zwei Outside Linebackers um genug Breite abzudecken.

Bei aller Liebe für den Run: Am Ende entscheidet in dieser Niners-Offense aber immer der Pass über Wohl und Wehe. Die Rams-Defense hat nur einen exzellenten Defensive Back (Jalen Ramsey) gegen gleich drei Superwaffen im Pass-Catcher-Corps (Samuel, Aiyuk, Kittle). Es ist anzunehmen, dass DefCoord Raheem Morris versuchen wird, Ramsey so oft es geht gegen Samuel zu stellen, auch wenn dies mit den zahllosen Motions kein einfacher Job wird – und eventuell die Mitte, die Los Angeles eh schon nicht gut verteidigt, entblößt.

Denn das müssen wir jede Woche aufs Neue betonen: Shanahan-Laufspiel ist gebaut um über die Seiten zu dominieren. Aber die Musik im Passspiel spielt in der Mitte des Feldes. Wer auch immer Linebacker oder Safety spielt, wird ein schweres Leben gegen San Francisco haben, und Shanny wird alles dafür tun, Ramsey mit einer Receiver-Route so oft es geht aus dieser Mitte herauszuziehen und andere hineinrauschende Linebacker und Defensive Backs zu attackieren (Eric Weddle, anyone?).

Letztlich kommt es bei den Niners oft drauf an, ob Garoppolo ohne den kapitalen Bock auskommt, der bei ihm auch ohne Pressure regelmäßig ausrutscht. Für die Rams gilt: Jede QB-Pressure erhöht die Chance auf Garoppolo-Bolzen, aber auch ohne lässt sich 60 Minuten lang wunderbar auf einen schmarotzten Turnover spekulieren.

Ausblick

Wer diese Zeilen liest, wird es längst gehört haben: Shanahan hat die letzten sechs direkten Duelle gegen McVay gewonnen. Auch gewannen die Niners beide Spiele – Mitte Saison deutlich dank mehrerer Stafford-Böcke, und am letzten Spieltag der Regular Season knapp in Overtime trotz eines deutlichen Rückstands zu Beginn (es stand mal 0:17) und einiger Garoppolo-Hirnfurze.

Trotz dieser Historie in direkten Duellen und trotz des wohl fehlenden Heimvorteils sind die Rams auch diesmal wieder leicht favorisiert (LAR -3.5).

Sie sind einfach auch das besser besetzte Team. Die Niners matchen hervorragend gegen diesen Gegner und ihr Coach Shanahan gibt dieser Offense die Gewissheit, sie in jedem einzelnen Spiel konkurrenzfähig zu schemen, aber am Ende wird auch Rams-Niners von Spielern und nicht von den Coaches gespielt.

San Francisco ist weit gekommen – weiter als man im November noch dachte. Die Niners haben auf dem Weg hier aber auch einiges ausgereizt, haben sich erst in der Overtime überhaupt für die Postseason qualifiziert, haben im Wildcard-Game schlecht aufgelegte Cowboys nur knapp geschlagen und sind letzte Woche bei den Packers komplett von der Schippe gesprungen, während die Rams potent genug beim Titelverteidiger Tampa Bay aufgetreten sind, um trotz einer ganzen Orgie an Eigenfehler zum Ende raus das Ding trocken mit zwei Bomben am Ende raus zu gewinnen.

Müsste ich hier tippen, ich würde meine Jetons entgegen der Historie in direkten Duellen auf die Rams als zweiten Superbowl-Finalisten setzen. Aber das Spiel fühlt sich wesentlich knapper an als das AFC-Finale.

6 Kommentare zu “NFC Championship Vorschau: Los Angeles Rams – San Francisco 49ers

  1. „passte wohl nicht in Bradys Timeline,“
    Scheinbar hängen auch Bonuszahlungen vom Zeitpunkt ab und er hatte nicht mal den Bucs Bescheid gegeben. Kann mir gut vorstellen das er nicht vorhatte das sie seine endgültige Entscheidung von Jon Grudens Redakteur Kumpel hören, statt von Brady persönlich.

  2. Finde den ganzen Vorgang um Bradys Rücktritt auch sehr zweifelhaft und v.a. nicht sehr schmeichelhaft für die News-Politik der NFL. Mag ja sein, dass die Gerüchte sehr deutlich in diese Richtung gehen, aber dann z.B. auf Facebook „Announces retirement – Tom Brady“ zu posten, wenn er ja genau das scheinbar nicht gemacht hat, finde ich schon etwas fragwürdig. Man fragt sich, was jetzt dann eigentlich das Indiz war, dass man in der Bewertung von „Gerücht“ auf „gesicherte Tatsache“ umgeschaltet hat.

    Aber argumentativ wäre der generelle Zeitpunkt für den Rücktritt schon nachvollziehbar. Wenn die Bucs so viele Free Agents haben und das Team die Klasse der letzten beiden Seasons wohl kaum halten können wird, müsste Brady ja dann quasi zwangsläufig mehr als ein weiteres Jahr dranhängen, wenn er wirklich nochmal um einen Super Bowl mitspielen will. Fände es auch bewundernswert, wenn er es schafft abzutreten, nachdem er nochmal so eine starke Season gespielt hat. Man denke nur daran, wie z.B. Manning, Brees und jüngst auch Roethlisberger am Ende aufgetreten sind…

  3. Hälst du den niners-team-building-weg eigentlich für fruchtbar?
    Ressourcen in front seven => coverage mit seichten Boxen, aber stark gegen den run
    LB günstiger als CB
    2 starke DL + rotational peaces günstiger als 3 Top CBs, die man bräuchte, um den run mit zusätzlichen Mitteln zu verteidigen?

    Oder nur machbar, weil das scheme so gut läuft und es viele Glückstreffer im draft uns FA + sehr positive Entwicklungen von Spielern gab?

    Franke scheint ja ein wenig umzuschwenken vom covrage > pass rush (wobei bei der Variante andersrum wohl gilt, dass die DL elite in Pass + run sein muss, auch nicht gerade häufig)

  4. Wenn Brady auf einer Pressekonferenz nicht sein Rücktritt bekanntgibt dann ist er auch noch nicht zurückgetreten. Rams werden 49ers
    Zerstören noch nie so ein klares Halbfinale der NFL gesehen. Bei Cincinnati vs Kansas Tipp ich auf ein sehr knappen Sieg der Chiefs.

  5. Naja Manning ist mit Super Bowl abgetreten….

    Aber klar, würde schon gut passen bei Brady – im letzten Spiel noch fast ein Comeback auf die Reihe gebracht. Das ist ein schöner Schluss

  6. Pingback: NFC Championship im Liveblog: Los Angeles Rams – San Francisco 49ers | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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