Mit den Cleveland Browns in den Sonnenaufgang

Man zeige mir einen General Manager in der NFL, der über mehr Power (im Sinne von Macht) verfügt als Clevelands Mike Holmgren. Holmgren ist seit eineinhalb Jahren GM der Browns und Holmgren war dominant genug, um über den Kopf des Trainerstabs hinweg einen Quarterback zu draften, den dieser Trainerstab nicht wollte. Und wir reden hier über einen Trainerstab, dessen Kopf als ultrasturer Disziplin-Nazi bekannt ist. Wir reden hier über (Ex-Coach) Eric Mangini.

Colt aus Texas

Holmgren lebt und stirbt für die West Coast Offense. Und Holmgren sah, was Cleveland für einen Football spielte. Einen knüppelharten. Unästhetisch. Holmgren vernarrte sich in einen Quarterback mit einem Namen, der keine Zweifel über dessen Herkunft mehr lassen kann. Colt McCoy. McCoy wurde 2010 einberufen und Mangini vor die Füße geworfen. Ein intelligenter Quarterback ohne raketenartigen Wurfarm.

Mangini behandelte McCoy wie ein Stück Agrarpizza und Holmgren hasste, wie der Trainerstab mit dem jungen Quarterback verkehrte, tauschte die komplette sportliche Leitung aus, installierte mit Pat Shurmur einen neuen, ihm bekannten Head Coach (Shurmurs Vater war einst Holmgrens DefCoord) und vollzog somit den lange von allen erwarteten Bruch mit Mangini und der Franchise-Vergangenheit.

Holmgren ist der Kopf.

Shurmur der Gestalter.

McCoy der Umsetzer.

Offense

Es wird gemunkelt, dass Holmgrens Verlangen nach einer klassischen „West Coast Offense“ so ausgeprägt war, dass er Mangini mit seiner knochentrockenen 80erjahre-Offense selbst bei 10-6 rasiert hätte. QB Colt McCoy hat nicht brillant gespielt, aber McCoy hat ordentliche Ansätze in einem System gezeigt, dass darauf ausgerichtet war, möglichst ohne Quarterback auszukommen.

Man sagt McCoy erstaunliche Fähigkeiten im Antizipieren von Spielsituationen nach, was für eine auf Timing basierende Kurzpassoffense, die auch von Shurmur gepredigt wird, die Fähigkeit #1 ist.

Allerdings ist McCoy immer noch ziemlich grün und vor allem: Ziemlich blankgestellt, denn die Browns verfügen über keinen adäquaten Receiving-Corp. Der unzuverlässige TE Ben Watson ist mit 68 Catches/768Yards/3 Touchdowns jeweils mit Abstand die #1 in jeder Kategorie, etwas, das nicht lange gut gehen kann. So wird in Sachen Ballfänger auf einen Haufen an völlig Unbekannten und Rookies vertraut – und auf X-Faktor Josh Cribbs, der alles ein bisschen macht, aber nirgendwo richtig gut ist. Außer im Returnieren von Kicks und Punts.

Immerhin darf McCoy hinter einer der besten Offensive Lines in der NFL antreten, rund um LT Joe Thomas und C Alex Mack. Eine Line, die auch hervorragend für das Laufspiel blocken kann, was für Cleveland nicht unbedeutend sein dürfte.

RB Peyton Hillis dürfte aufgrund der fehlenden Erfahrung McCoys auch in dieser Saison noch eine tragende Rolle spielen. Hillis wird in naher Zukunft ein Star sein: Er ist der Cover-Boy von Madden Football. Auf dem Platz ist das einer der wenigen großen weißen Running Backs – ein brachialer Typ Fullback, und fangstark. Dazu der junge RB Montario Hardesty, wieder fit nach einer Verletzung, und der fangsichere, aber laufschwache RB Brandon Jackson aus Green Bay.

Defense

Auf DefCoord Rob Ryan muss verzichtet werden, doch die Umstellung von Ryans 3-4 Defense auf eine 4-3 Defense könnte angesichts der vorhandenen Personals „logisch“ sein. In der Defensive Line wird auf zwei junge Defensive Tackles (Ahtyba Rubin, Phil Taylor) vertraut, dazu kommt mit DE Jabaar Sheard ein Rookie aus der zweiten Runde. Der Kopf der Linebackers dürfte der recht kleine MLB D’Qwell Jackson (1,83m) sein.

Prunkstück in der Defense wird CB Joe Haden sein, ein Mann im zweiten Jahr. Hadens Rookie-Saison soll nach anfänglichem, sachten Aufbau schlicht und ergreifend fassungslos gewesen sein. Sämtliche geschätzte Analystenschaft sieht in Haden bereits einen Top-5 Cornerback, dabei hat der Mann erst eine halbe Saison „richtig“ gespielt.

Mal schauen. Ryan galt als Genie des Tarnens und schemings, nun kommt mit Dick Jauron ein Mann, der schon überall gecoacht hat, ohne irgendwo wirklich bleibende Eindrücke hinterlassen zu haben. Es ist immer etwas ungut, wenn man auf eine Front Four umstellt und fast alle Spieler sind blutjung – Muskelaufbau für Defensive Liner braucht oft zwei-drei Jahre.

Ausblick

Die Browns haben ein klein bisschen was von Bodensatz der NFL. Neuer, nicht allzu mächtiger Coach, neues Offensiv- und Defensivsystem, sehr junger Quarterback ohne viele Anspielstationen, ein Running Back, der jüngst wie Phoenix aus der Asche kam und von dem keiner weiß, wohin er sich entwickeln wird, und eine Defense, deren Ankermänner durchwegs extrem jung sind.

Wk #1 vs Bengals
Wk #2 @Colts
Wk #3 vs Dolphins
Wk #4 vs Titans
Wk #5 BYE
Wk #6 @Raiders
Wk #7 vs Seahawks
Wk #8 @49ers
Wk #9 @Texans
Wk #10 vs Rams
Wk #11 vs Jaguars
Wk #12 @Bengals
Wk #13 vs Ravens
Wk #14 @Steelers (Donnerstagspiel)
Wk #15 @Cardinals
Wk #16 @Ravens
Wk #17 vs Steelers

Wenigstens der Schedule meint es gut mit den Browns: Viele Heimspiele gegen mittelmäßige Konkurrenz zu Beginn und viermal die NFC West und die ebenso nicht berauschende und physis-allergische AFC South im Kader. Die Bilanz könnte am Saisonende die wahre Leistungsstärke (-schwäche?) verschleiern – aber mir gefällt bekanntlich immer, wenn eine Franchise mit einer klaren Idee auch mal ein paar happige Jahre des Aufbaus in Kauf nimmt.

Das Zeiteisen verrät: 784 Minuten verbleiben. WordCount nach acht Teams: 7707.

3 Kommentare zu “Mit den Cleveland Browns in den Sonnenaufgang

  1. Hallo korsakoff.
    nochmal ein Lob hier, ich bin fassungslos, was Du hier alles leistest und abarbeitest. Grüße nach Südtriol aus Bayern.
    Einige Gedanken oder Ergänzungen zu Deinem Artikel über die Browns:
    Machtfülle Holmgrens:
    Das hat seit der Wierdergeburt 1999 Tradition, da die Owner (zuerst der Verstorbene Al Lerner nun sein Sohn Randy) sich aus der Franchise konsequent raushalten, ich sage zu viel raushalten.
    Und die Machtfülle der jeweiligen Verantwortlichen (1. Carmen Policy und Clark, 2. Butch Davis, 3. Savage und Crennell, 4. Mangini) hatte jeweils sehr negatvive Konsequenzen, weil jegliche Kontrolle durch den Owner fehlte, der lieber in New York als in Cleveland sitzt und sich mehr an seinem Spielzeug Aston Villa, als den Browns begeistert. Gerade die ersten drei Regentschaften hinterliessen einen Trümmerhaufen, aber alle wurden noch jahrelang mit Millionen aus Lerners Tasche bezahlt. Es schien, die Browns waren ein Selbstbedienungsladen und wichtige Posten wurden einfach nicht ausgefüllt, vieles schleifen gelassen.

    So gabe es im letzten Jahrzehnt oft Chaos hinter der Bühne, die ich nur mit ungläubigen Kopfschütteln und manchmal auch Wut begleiten konnte. Bsp: Der Butch Davis Abgang, den Kader den Savage und Crenell hinterliessen und Savage fehlendes Management, der Kokinis Rausschmiss unter Mangini.

    Die mehr als 10 Jahre Chaos und Misserfolg sind daher vor allem dem Owner anzulasten, der nie die Finger am Puls hatte und die Dinge schleifen liess bis zum Exzess. .

    zu Mangini: Und für mich war Butch Davis der schlimmste Kontrollfreak. Mangini hatte einen disziplinlosen Haufen von Savage und Crennell geerbt und musste erstmal bei den Basics wieder anfangen (Bsp: was ein Braylon Edwards sich an zu spät kommen, nicht vorbereitet sien, Divaverhalten unter Mangini leistete).

    Also Machtfülle in Cleveland war schon immer für die Verantwortlichen gegeben, weil Herr Lerner keinen Bock hat sich um was zu kümmern.

    Holmgren muss sich aber fragen lassen, warum man Mangini nicht gleich feuerte sondern noch ein Jahr in die aus seiner Sicht falsche Richtung wurschteln liess. Holmgren hat ein komplettes Jahr verschenkt.

    Zitat: Dazu der junge RB Montario Hardesty, wieder fit nach einer Verletzung, ..
    Da haben viele Brownsbeobachter grösste Zweifel. Hardesty wurde nacxh einem Jahr, nun im Training keinen einzigen Kontalt ausgesetzte und vollzog nur leichtes Lauftraining. Anscheinende hielt man auch ihn nicht tacklefähig im Preseasongame vorgestern gegen Green Bay.
    Der Mann hatte in seiner Collegezeit eine längere Liste an schweren Knieverletzungen auch mit OPs, als mancher bad boy an Einträgen im Vortsrafenregister aufzuweisen hat.

    Andererseits muss man Hillis, weil man ihn länger noch haben will, keine irrsinnige workload mitgeben, daher braucht man einen guten Ersatzmann.

    Die DEF macht mir sehr große Sorgen, zum einen weil wir große Lücken haben, zum zweiten, weil wir 4 mal im Jahr BAL und PIT spielen und uns da keine Highscoring Schlacht erlauben können. Auch von Jauron bin ich nicht begeistert, ich hoffe, er überrascht mich positiv. Schade, dass Holmgren und Heckert hier keinen besseren Mann bekamen.

    Ich sehe eine Saison mit vielen Fragezeichen. Wie wird sich der junge QB McCoy schlagen ( 4 mal gegen PIT und BAL) ohne die von dir erwähnten notwendigen WR. Die DEF ebenso im kompletten Neuaufbau. (wobei wir in den letzten 2 Jahren schon auch hier gute Ansätze hatten, das 9 Sack Spiel vor 2 Jahren gegen PIT oder letzte Saison wie Mangini und Ryan gegen die heissgelaufenen Pats gewannen oder auch beim damaligen SB Sieger New Orleans gewannen).

    Positiv: Es finden sich in letzter Zeit Spieler, die herausstechen und Mut machen. Cribbs, Joe Thomas, Hillis, Haden, vielleicht nun Mc Coy. Von daher kann man jetzt noch etwas hoffen.
    Aber es gibt auch den alten Spruch. „Only in Cleveland“. Da passieren Dinge die man sonst für unmöglich hält und man eine in die Fresse bekommt, buchstäblich aus dem Nichts, wenn man meint, es könnte mal wieder aufwärts gehen.
    Kurioses zum Schluss: Ich würde mir sehnlichst wünschen, dass eine Serie der Browns weiter anhält: 🙂
    Die Browns haben in den vergangenen 3 Spielzeiten den jeweiligen Superbowlsieger in der REGULAR Season besiegt (Giants, Steelers, Saints).
    Wenn sie dieses Jahr da weiter machen könnten…… Hinweis, wir spielen dieses Jahr nicht die NFC North…. dann …wäre das……
    OK, ok, jetzt höre ich das utopische Träumen auf….
    Gruß, ein langjähriger Fan der Browns

  2. Hallo Alexander,

    als jemand, der footballtechnisch quasi mit dem Intrigantenstadel um Butch Davis aufgewachsen ist, kann ich deine Ausführungen durchaus nachvollziehen. Ich möchte allerdings anmerken, dass ich es prinzipiell nicht schlecht finde, wenn ein Owner, dem es offenbar an der nötigen Hingabe für diesen Sport fehlt und der aus welchen Gründen auch immer (finanzieller Natur?) die Franchise trotzdem nicht verkaufen möchte, wenigstens konsequent genug ist, um sich aus dem Tagesgeschäft rauszuhalten.

    Es gibt genügend schlechte Beispiele (Washington, Tennessee), denen es mit ähnlich ignoranten, aber überengagierten Besitzern ähnlich derbe geht wie den Browns.

    Ich finde weiters, dass Mike Holmgren ein guter Move ist, denn Holmgren besitzt im Verhältnis zu all seinen Vorgängern im Sportdirektorium und am Trainerpult ein ganz anderes Standing und wird nicht zulassen, dass es innerhalb der sportlichen Leitung zu Zwistigkeiten kommt.

    Dafür spricht die Besetzung von Pat Shurmur als Head Coach – der Mann wirkt wie ein Strohmann. Was ich so übel nicht finde. Denn die Franchise scheint endlich top/down eine Linie eingeimpft zu bekommen. Und ich weigere mich, dies im Falle „Cleveland Browns“ als negatives Zeichen zu werten.

  3. Nochmal zur Rolle des Owners: Ich hab kein Problem damit, dass ein Owner die Zügel an einen Mann des Vertrauens übergibt ( bei uns in der Vergangenheit Policy, Butch Davis, Savage, Mangini, jetzt Holmgren). Nur, wenn er erkennt, wie das in der Vergangenheit der Fall war, dass es überhaupt nicht funktioniert, dann darf er nicht den Kopf in den Sand stecken und den vor sich hin brodelnden Mist weiter zum Himmel stinken lassen.
    Allgeimein, seh ich die Situation posiver als zu Zeiten Savage und Crennell ( wo beide klar überfordert waren) . Man muss mal abwarten, wie die Zeit mit Holmgren läuft. Enttäuscht war ich zB über die Delhomme Verpflichtung, eine krasse Fehlentscheidung was für viele keine Überraschung war. Und auch dass er ein Jahr mit dem Umbruch gewartet hat und nun viele gute Trainer verloren hat…… Trotzdem fühlt es sich etwas positiver an. Wichtig ist, dass aber die Zeit nicht davon läuft, dass man in 2 Jahren ( dann im Jahr 4 Holmgren) auf einer Augenhöhe mit der Spitze in der AFC North ist.

    So ganz verteufel ich nicht, was Mangini eingeführt hat. Mangini litt in seinem ersten Jahr unter der Übernahme von 2 QBs die jetzt woanders nur noch #3 sind. Er hat an Dingen den Dingen den Hebel angesetzt, die als erstes Erfolg versprachen ( Disziplin, weniger Strafen druch Schiris im Training, Konzentration der Spieler, Def, Toughness, extra freiwillige Trainingseinheiten für Spieler aus der zweiten Reihe, die danach plötzlich auf dem Feld auf sich aufmerksam machten).

    Wenn ich nun sehe, dass letzte Woche beim ERSTEN Spielzug nach dem Kickoff gleich nach 6 Sekunden die erste TO genommen werden muss, weil 12 Mann der DEF auf dem Platz stehen, kann ich nur noch mit den Kopf schütteln. Wie will man dann später bitte bestehen, wenn ein gutes Team eine no Huddle OFF fährt gegen die katastrophale CLE DEF, wenn man es nicht mal schafft bei ruhendem Ball beim ALLERERSTEN Spielzug die richtigen 11 Spieler auf das Feld zu bekommen ?
    Es wird daher Rückschläge geben diese Saison, aber ich hoffe, dass wir eine beträchtliche Anzahl von Spielern zu einen gute Reifegrad heranführen werden ohne große Rückschläge ( schwere Verletzungen die uns oft genug das Genick gebrochen haben) .
    Gruß Alexander

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