Kansas City Chiefs in der Sezierstunde

Die heutige Sezierstunde beschäftigt sich mit den Kansas City Chiefs, letztes Jahr mit 12-4 Bilanz und knapper Overtime-Pleite im AFC-Finale gegen die New England Patriots nur ganz knapp am großen Wurf gescheitert. Jetzt folgt der nächste Anlauf.

Die Chiefs unter Head Coach Andy Reid sind ein Muster an hochwertiger Beständigkeit: Als Reid die Mannschaft 2013 übernahm, hatten die Chiefs in vier der sechs vorangegangen Spielzeiten eine Bilanz von 4-12 oder schlechter eingefahren. Seit Reids Antritt? 11-5, 9-7, 11-5, 12-4, 10-6, 12-4.

Letzte Saison war nur der bisherige Höhepunkt der Reid-Ära mit dem ersten Playoff-Heimsieg für die Chiefs nach über 25 Jahren unter der ersten Championship-Teilnahme seit ebenso langer Zeit.

Getriggert wurde der Sturm auf die Liga-Elite natürlich in erster Linie von QB Patrick Mahomes II. Mahomes ist der legitime Nachfolger von Aaron Rodgers als spektakulärster Quarterback unter der Sonne. Allein was die Ästhetik seines Spielstils betrifft, ist Mahomes unter Quarterbacks das, was ein Barry Sanders auf Runningback, ein Calvin Johnson auf Wide Receiver oder ein Rob Gronkowski auf Tight End waren: Ein feuchter Traum.

Doch Mahomes war auch feuchter-Traum-artige Effizienz: In seiner allerersten NFL-Saison wurde er gleich Liga-MVP. Er legte 50 Touchdowns und fabrizierte 8.0 NY/A und 0.33 EPA/Passspielzug, beides deutlich #1 der Liga. Mahomes agierte dabei zwar hie und da wie der Gunslinger, als den man ihn seit zwei Jahren angekündigt hatte, doch die INT-Quote hielt sich mit 12 Interceptions wohltuend in Grenzen.

Mitenscheidend dafür war auch, dass Reid seinem QB ein sensationell gutes Scheme und exzellente Skill-Player zur Seite stellte:

  • Über das Design der Chiefs-Offense ist oft geschrieben worden. Auch die Tracking-Daten bestätigen, dass Mahomes im Schnitt recht offene Receiver hatte und mit nur 12% der Würfe in enge Deckungen einer der QBs mit der niedrigsten „Aggressive-Throw“ Rate in der NFL war.
  • 1st Down Playcalling: Die Chiefs waren das 4t-passlastigste Team der NFL im 1st Down in den ersten beiden Quartern – eine hervorragende Strategie, weil es das zum Werfen günstigste Down ist. Daher hatten die Chiefs auch die wenigsten langen 3rd Downs.
  • WR Tyreek Hills 27 Sprintzeit wurde so oft es geht in Szene gesetzt – um das Feld aus dem Slot heraus auseinanderzuziehen und um schnelle Cuts nach innen zu machen. TE Travis Kelce wird sowieso annähernd Gronkowski-like eingesetzt, und WR Sammy Watkins gehört in fittem Zustand zu den besten #1-Receivern in der NFL. Auch auf Runningback sah man keinen nennenswerten Leistungsabfall, nachdem RB Kareem Hunt wegen häuslicher Gewalt über Nacht entlassen wurde.

Die zentrale Frage in der Chiefs-Offense ist für 2019 nun natürlich: Kann die Offense ihren Level halten? Gehen wir die Checkbox einmal durch.

Angst vor der Regression in der Offense

Coaches: Anders als in den letzten Jahren, als Reid ambitionierte Assistenten wie Doug Pederson (Eagles) oder Matt Nagy (Bears) verlor, bleibt der Offensiv-Trainerstab diesmal zusammen. Reid ist seit langem ein Vorreiter der „Pass-First“ Bewegungen – ich kann mich noch gut erinnern, wie er damals um 2005 herum noch kritisiert, ja angefeindet, wurde, weil er es wagte, seinen RB Brian Westbrook in 1st Downs mit Kurzpässen zu bedienen! Mit verstärktem RPO-Einsatz, Jet-Sweeps und zahlreichen weiteren College-Football Elementen hat Reid in den letzten Jahren auch verstärkt Air-Raid Prinzipien eingebaut. Es besteht wenig Grund zu glauben, dass er das Ende der Fahnenstange schon erreicht hat.

Receiving-Corps: Ein Fragezeichen, das nach der Freisprechung von „Gott“ Goodell für Tyreek Hill wesentlich kleiner ist als man noch im April gedacht hätte.


[Einschub um das Thema kurz abzuhaken: Letzte Woche wurde bekannt gegeben, dass Tyreek Hill nun wohl doch nicht von der NFL gesperrt wird. Wer eine ganz gute Zusammenfassung und Einschätzung zum Thema hören möchte, dem empfehle ich dazu Mina Kimes von ESPN.]


Zwar wechselte die #3-Option Chris Conley nach Jacksonville und 2nd-String TE Demetrius Harris nach Cleveland, doch mit einem Hill zurück im Line-Up sieht das Offense-Personal nun doch viel besser aus als man befürchten musste („heile Welt“ wäre angesichts der Situation wohl ein unangebrachter Begriff).

Denn so großartig Mahomes ist: Hills Vielseitigkeit und Explosivität wäre für das Play-Design kaum zu ersetzen gewesen. In all der Unsicherheit reagierten die Chiefs im Draft mit der Einberufung von Georgias Speedster-WR Mecole Hardman (mit 4.33 Sekunden nur minimal „langsamer“ als Hill). Einen 1:1 Ersatz hätte man auf keinen Fall erwarten können (höchstens erträumen). Wie Hardmans Rolle nach der Hills Freigabe aussehen wird, ist schwer abzusehen – angesichts eines Play-Designers Reid kann man aber davon ausgehen, dass Hardman eine Rolle in der Offense spielen wird, und dass er so einfach wie möglich eingeführt wird.

Dank Hills Rückkehr bleibt der Receiving-Corps der Chiefs tief besetzt: Kelce (62% Success-Rate) und Watkins (63% Success-Rate) sind erstklassige Leute, auch wenn Watkins etwas oft verletzt ist. Hardman als WR3 ist immerhin bessere Tiefe als Kemp und Pringle.

Weil man hinter Kelce keinen ernsthaften zweiten Tight End hat, könnte es noch mehr 11-Personnel als letzte Saison werden. Vor allem wird es noch mehr Speed als letzte Saison geben. Man muss an dieser Stelle auch erwähnen, dass Reids Offenses in den letzten Jahren sowohl in Formationen mit 1 TE als auch mit 2 TE zu den effizientesten in der NFL gehörten.

Offensive Line: C Mitch Morse wechselte nach Buffalo, war aber eh oft verletzt. Auf Left Tackle zeigte Eric Fisher letztes Jahr erstmals, warum er einst der #1 Overall Pick war. Right Tackle ist mit Mitchell Schwartz eine Bank.

Doch auf OL-Interior bleiben Fragezeichen: Der neue C Austin Reiter ist ein klares Downgrade und auf Guard ist keine der drei Optionen Cam Erving (15 Strafen letzte Saison!), Andrew Wylie und Laurent Duvernay-Tardif eine Vertrauen erweckende.

Runningbacks: Der letztes Jahr im November in einer Nacht- und Nebelaktion gefeuerte Hunt hat mittlerweile einen neuen Job in Cleveland gefunden. Den Chiefs bleibt RB Damien Williams, der Hunt im Laufspiel fast nahtlos ersetzen konnte, jedoch als Pass-Catcher den einen oder andern Rückschritt bedeutete.

Williams sollte idealerweise starten, denn die Alternative ist eine suspekte: Carlos Hyde, einst bei den 49ers einer der effizientesten Runner, doch in den letzten 2-3 Jahren zu einem Spottobjekt geworden, weil er unterhalb 30% Success-Rate hatte. Hyde ist überdies kein guter Blocker.

Quarterback: Bleibt natürlich Mahomes selbst. Dass Mahomes schon im ersten Jahr als Starter (2017 spielte Mahomes nur ein bedeutungsloses Spiel) die Liga in Schutt und Asche legen würde, konnte niemand erwarten – und muss der Konkurrenz Angst und Schrecken einjagen, denn es wäre nicht das erste Mal, dass junge Quarterbacks im zweiten Jahr als Starter einen Leistungssprung nach vorn machen. Doch natürlich ist bei solchen Explosionen wie sie Mahomes 2018 erlebte das Stichwort Regression zur Mitte nie weit weg.

So großartig Mahomes war, so schwierig wird es, seine atemberaubenden Zahlen zu wiederholen. Da wäre zum einen die nicht zu haltende 8.6% TD-Rate, die zu 50 TD führte. Bislang hat noch keiner der (wenigen) 50-TD Passer in der darauffolgenden Saison auch nur 40 Touchdowns geworfen. Kombiniere das mit dem Fakt, dass mehr als eine Handvoll seiner Touchdown-„Pässe“ aus simplen Jet-Sweep Übergaben nach vorn resultierten, ist ein Rückgang sogar wahrscheinlich.

Bei den Interceptions erlebten wir schon letztes Jahr einen eher glücklichen Mahomes: Schauen wir auf die INT-Rate, sehen wir zwar mit 2.1% eine recht durchschnittliche INT-Quote, was nicht zwingend Regression erwarten lässt. Doch Football-Outsiders hat es in seiner „Adjusted Interceptions“ Aufstellung schon aufgezeigt: Mahomes hatte 10 gedroppte Interceptions – bei durchschnittlichem Glück hätte man bei ihm letzte Saison 15 anstelle von 12 INTs erwarten müssen.

Mahomes ist damit ein recht klar identifizierbarer Kandidat für Regression zur Mitte. Seine individuelle Performance mag gleich bleiben oder sich sogar verbessern, doch auch mit einer 16-Spiele Saison von Tyreek Hill ist eine Wiederholung der Zahlen von 2018 kaum denkbar. Sagen wir, Mahomes legt im Herbst 35 Touchdowns bei 15 Interceptions auf: An welchen Stellen könnten die Chiefs eine derartige Regression kompensieren?

Wo können die Umstände helfen?

Play-Calling: Obwohl Andy Reid bereits einer der aggressivsten Play-Caller in Early-Downs ist, ist die Chiefs-Offense 2019 eine Einladung dazu, noch aggressiver zu werfen. Das schreibe ich nicht nur in Anbetracht des phänomenalen Personals um Mahomes, Watkins, Hill und Co.

Ich schreibe es auch, gerade weil Regression in den Effizienz-Stats droht, brauchen die Chiefs wohl noch höhere Pass-Quote in 1st und 2nd Downs, vor allem zu Beginn der Spiele. Angesichts dieser Forderung könnte es den Chiefs sogar entgegen kommen, dass sie über keinen nominell hochklassigen Runningback verfügen, der zum Laufen verleiten würde.

Situationen, in denen Reid höhere Run-Rate ansagen könnte, sind kurze Yardage-Situationen in 2nd bis 4th Down. Hier hatten die Chiefs jeweils exzellente Rushing-Success-Rates, liefen allerdings jeweils unterhalb von NFL-Durchschnitt.

Run-Defense: Die Schlechtigkeit der Chiefs-Run Defense von 2018 ist längst bekannt. Sie waren die #32 in Run-Defense DVOA, und der Abstand zur #31 war so groß wie der Abstand wie der Abstand von der #31 zur #21. Run-Defense ist für gewöhnlich nicht überaus kritisch, doch wenn sie so schlecht ist wie jene der Chiefs 2018, wird sie zu einem strukturellen Problem. Nun gibt es drei wichtige Faktoren, die für eine Verbesserung sprechen: Personelle Verstärkungen, neues Scheme und Regression zur Mitte.

Neue Spieler sind FS Tyrann Mathieu, einer der besseren Run-Defender auf Safety und Rookie-DT Khalen Saunders (3. Runde). Dazu deutete DT Derrick Nnandi letztes Jahr großes Potenzial als „run stuffing“ NT an. Im Scheme kommt mit dem neuen DefCoord Steve Spagnuolo ein Mann, der weniger für ultra-komplexes Gameplanning steht, dafür mehr für einfache Anweisungen, die auch die jüngeren Verteidiger verstehen.

Obwohl die Linebacker völlig unerfahren sind, dürfte Kansas City mit den paar Umstellungen und dem Faktor Regression zur Mitte relativ sicher nicht erneut 50% Run-Success Rate kassieren.

Die Knackpunkte

Pass-Defense: Die Chiefs stellten letztes Jahr keine schlechte Passing-Defense. Mit 6.4 NY/A war man sowohl nach Yards als auch nach Pass-DVOA die #12 der NFL. Doch man lebte in erster Linie vom Edge-Rush Duo Houston/Ford. Insbesondere Ford hatte ein „Career Year“.

Jetzt kommt unter Spagnuolo die Systemumstellung auf 4-3 Base-Defense. Houston/Ford hätten dort nicht hingepasst, und so ließ man beide ziehen (im Falle von Ford wurde er für 2nd Round nach San Francisco verkauft). Spagnuolo ist mittlerweile 11 Jahre entfernt von seinem Husarenstück in Superbowl 42, als er mit seiner Defensive Line die Patriots abwürgte. Seither war der Reid-Buddy nur noch mäßig erfolgreich.

Auch seine Passing-Defense ist komplett anders strukturiert als jene von Vorgänger Bob Sutton: Viel weniger kompliziert, viel straighter. Spagnuolo tendiert dazu, mehr Zone-Defense zu spielen und mehr aus der zweiten Reihe zu blitzen.

Dennoch ist ein Front-Four Passrush essenziell. DT Chris Jones ist als mutmaßlich 2t-bester Interior-Rusher der NFL nach Aaron Donald der eine wichtige Ankermann. Die Frage ist, was an den Flanken passiert. Als Ersatz für Houston/Ford wurden drei Leute eingekauft:

Die Schlüsselperson an den Flanken ist Clark. Er hatte 2018 gleich viele Sacks wie Ford, doch wesentlich weniger QB-Pressures (33 zu 48). Clark muss funktionieren um der Passing-Defense eine Chance zu geben. Ogbah ist kein weltbewegender Passrusher und wird sich mit dem Rotationsspieler Okafor die Snaps teilen.

Ob Spagnuolo sein Blitzing aufsetzen kann, ist trotzdem zweifelhaft: Das Personal auf Cornerback ist mit das schlechteste der NFL (nur CB Kendall Fuller im Slot genügt an guten Tagen höheren Ansprüchen), und auf Safety vertraut man neben Mathieu wohl schnell auf einen Rookie: Juan Thornhill.

Der Schedule Auch der Schedule ist nicht günstig: Die Chiefs, die schon letztes Jahr einen der schwierigeren Schedules der NFL spielen mussten, sehen zur anstehenden Saison den für Warren Sharp 3t-schwersten Schedule der NFL. Unter anderem muss man den 1st-Place Schedule der AFC spielen und die harzige NFC North. Gerade für die in Zweifel stehende Passing-Defense wird es eine lange Saison.

Ausblick

Las Vegas sieht in den Chiefs den größten Superbowl-Favoriten zur anstehenden Saison, und erwartet mindestens 10.5 Siege (in einigen mehr). Kansas City ist für die Wettbüros trotz des schwierigen Schedules in sage und schreibe 13 der 15 Spiele, die momentan angeboten werden, der Favorit.

Der Optimismus stützt sich natürlich auf der Combo Reid/Mahomes – und es ist natürlich durchaus denkbar, dass die Chiefs am Saisonende die Lombardi Trophy gewinnen.

Doch ich bin einen Tacken skeptischer. Die Regression in der Offense muss quasi zuschlagen, und man kann selbst bei einem NFL-Coach wie Reid nur hoffen, nicht erwarten, dass er den Breakout in Sachen Pass-Playcalling einleitet. Run-Defense mag zwar verbessert sein als letztes Jahr, aber dafür gibt es an der wichtigeren Stellschraube, der Passing-Defense, mehr Fragezeichen als vorher. Die Verpflichtung von Spagnuolo überzeugt mich nicht. Es hätte bessere Alternativen gegeben – zum Beispiel einen Vance Joseph oder Todd Bowles – aber Reid bevorzugte es, einen alten Buddy wie Spagnuolo zu holen.

Dazu kommt ein happiger Divisionsrivale mit den Chargers, die Kansas City gerade ausreichend Siege wegnehmen könnten, dass es entweder nicht für ein 1st-Round Bye reicht, oder gar nicht zum Divisionssieg. So sehr man die Chiefs schon allein wegen ihrer unfassbaren Offense um Mahomes als Playoff-Team eintippen muss, so sehe ich doch 1-2 andere AFC-Teams wie Los Angeles oder mit Abstrichen New England besser aufgestellt.

3 Kommentare zu “Kansas City Chiefs in der Sezierstunde

  1. @Korsakoff was sagst du dazu?

  2. Regression ist bei solchen außergewöhnlichen Leistungen wie schon oben geschrieben wahrscheinlich.

    Drei der genannten Offenses hatten aber über die Regression hinaus bemerkenswerte Probleme in der Folgesaison:

    2012 Saints: Sean Payton das ganze Jahr gesperrt
    2014 Broncos: Peyton Manning ab Saisonhälfte washed
    2017 Falcons: OC Shanahan durch OC Sarkisian ersetzt

    Die Chiefs werden wohl auch Regression erleben. Aber ihr Personal + Coaches ist immerhin noch vollständig intakt.

  3. Pingback: Kansas City Chiefs 2019/20 – Vorher und nachher | Sideline Reporter - Eier, wir brauchen Eier!

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