Der Combine-Sonntag mit Quarterbacks, Running Backs und Wide Receivers ist immer ein langer. Weil gesundheitlich leicht in Mitleidenschaft gezogen, hatte ich gestern die Zeit, die Combine im NFL Network über weite Strecken zu verfolgen. Es war eine recht zähe Veranstaltung, was nicht zuletzt an den immer wiederkehrenden Tonproblemen des NFL-Senders lag, der gleichzeitig einen überraschend ruckeligen Stream fuhr. Zäh fand es wohl auch Patriots-Coach Belichick auf der Tribüne.
Wide Receivers
Sprintzeiten! So gute Sprintzeiten, da steht gleich Al Davis aus seinem Grab auf um dreizehn Wide Receiver in der ersten Runde zu draften! Wo man in anderen Jahren bei 4.43 Sekunden ins Sabbern kam, griffen gestern gleich mehrere Sprinter nach dem Skalp des Combine-Rekords von Chris Johnson aus dem Jahre 2008 (4.24 Sekunden über 40yds).
Die 4.25sek waren inoffiziell: Tavon Austin – Bild: NFL-Network.
Der schnellste von allen war Marquise Goodwin von der University of Texas, ein Olympionike (Weitspringen), mit 4.27sek. Goodwin machte die guten Eindrücke allerdings mit dem einen oder anderen einfachen Drop in den WR-Workouts zunichte. Die andere Superzeit stellte das „gelbe Irrlicht“, Tavon Austin von West Virginia, auf: 4.34 Sekunden. Beim kleinen Slot-WR Austin war auch die Antrittszeit über 10yds stark, und weil Austin ein sehr viel sicherer Fänger ist, strengte Mike Mayock diesen Vergleich an:
Austin is a football player who runs like a track star. Goodwin is a track star who plays football.
Auch Ryan Swope (Texas A&M) fuhr fantastische Werte (4.34) ein, und Swope wird nach seinen 26 bench press reps gleichmal das Label des Workout Warriors übergestülpt bekommen. Den Wert der 40 Time sieht man am Beispiel von Justin Hunter (Tennessee): Hunter kam mit 6kg unter den Erwartungen zur Combine und der gedankliche Sprung zur Vermutung, dass Hunter extra für eine bessere Sprintzeit Gewicht abbaute, ist kein weiter. In wenigen Wochen wird Hunter wieder auf Kampfgewicht sein (Hunter lief 4.44sek). Die Catches von Hunter sollen übrigens nicht überzeugend gewesen sein.
Die drei für meinen Geschmack überzeugendsten Receiver in den Fang-Drills waren Stedman Bailey (WVU), DeAndre Hopkins (Clemson) und Connor Vernon. Mayock sieht in Bailey einen 3rd rounder. Negativ fielen mir Oregon States Markus Wheaton mit Butterfingern und Cobi Hamilton mit zu vielen Drops auf.
Zwei Lieblings Mike Mayocks: Cordarrelle Patterson (Tennessee) lief 4.42sek, was bei dessen Körpermaßen durchaus als sensationell stark angesehen werden kann. Patterson hat alle Voraussetzungen, Patterson hat spektakuläre Videos. Bleibt die Frage, ob der Mann nach nur einem Jahr in der SEC bereits reif genug für die NFL ist. Der andere Liebling ist Robert Woods, erst vor einem Jahr noch als sicherer 1st rounder gehypt, aber mittlerweile fast in der Versenkung verschwunden. Woods sieht optisch wie ein prototypischer NFL-WR aus, lief 4.51sek… kann man wenig an den Tapes und der Combine aussetzen.
Bei Da’Rick Rodgers, so einem Mann mit einer bedrückenden Geschichte abseits des Spielfelds (Stichwort: kann sein Temperament nicht im Zaum halten), kann man auf Basis der Combine wenig zu sagen; das ist einer, den irgend ein mutiges Team zwischen Ende erster und Ende dritter Runde draften wird.
Drei Leute habe ich mir noch notiert: Corey Fuller (Virginia Tech) mit 4.43 Sprintzeit, ein ehemaliger Leichtathlet der erst zwei Jahre Football spielt, bei dem Mayock meinte, sein Schritt sei für einen Wide Receiver fast zu groß. Chris Harper (Kansas State), mit seinen 229 Pfund brutal kompakt gebaut, sieht aus wie ein Runningback. Und Denard Robinson, der Scramble-QB von Michigan, der in der NFL bestensfalls als Receiver eingesetzt werden wird. Robinson lief mit geschnürten Schuhsenkeln eine 4.43sek (IMHO überraschend schnell), aber bei Robinsons zweitem Sprint merkte man ihm ungewohnte Nervosität an. Er sah unsicher aus, zweifelte. Zögerte. Hände und Routenlaufen sind suspekt, aber bei einem tiefen Ball zeigte er starkes Adjustment, lief die zwei seitlichen Schritte und fing den leicht deplatzierten Ball souverän.
Quarterbacks
Mayock sieht aktuell in keinem Quarterback dieses Jahres Material für die erste Runde. Mayock bemängelt nicht nur bei jedem QB das eine oder andere fehlende Attribut. Mayock sieht bei keinem QB, dass er die Defensive Backs mit seinen Augen „manipulieren“ kann, d.h. QBs, die zu schnell und zu lange in eine Richtung starren, werden in der Profiliga locker ausgeguckt. Mayock muss es wissen: Er war bei den Giants selbst ein paar Jahre Safety.
Der überzeugendste von allen soll noch Geno Smith (WVU) sein. Der Tenor war ganz klar: Smith hat alle Würfe drauf, wirft gepflegt tief, aber er ist ein frustrierender Mann, weil er immer wieder horrende Fehler einbaut, tief seine Leute übersieht, bei schnellem Passrush die Nerven wegschmeißt. Er lässt viele Yards auf dem Spielfeld liegen. Smiths Sprintzeit war mit 4.56 erstaunlich schnell für einen Spieler, dem man nicht nachsagt, ein Scrambler zu sein.
Smith war danach in der NFLN-Runde sehr demütig, gab sich selbst „Note C“ (so was wie eine 3 oder 3,5 nach deutschem System), deutete an, wie anstrengend das ewige Kommunizieren mit den Franchises sei. Smith war bei 11 Teams eingeladen, u.a. den Cardinals, Chiefs, Steelers, Raiders, Bengals (!) und Bills. Die Bills halten den achten Pick.
Barkley warf aufgrund seiner Schulterverletzung nicht, aber es kamen Gerüchte auf, dass sich die Arizona Cardinals an dem Mann einen Narren gefressen haben (ARI pick an #7).
Die big arm-Connection mit Tyler Bray (Tennessee) und Mike Glennon (NC State) hat andere Probleme: Bray soll nicht viel gegen seinen schlechten Ruf als arroganter Schnösel getan haben, und Glennon wirft zwar mächtige Bälle, aber eben häufig auch nicht 100%if aufs Kreuzchen auf der Brust. Wenn ich mir zu Glennon noch einen persönlichen Kommentar erlauben darf: Der Mann ist eine Gazelle, wirkt unglaublich gebrechlich mit seinen dünnen Armen und dem schmalen Oberkörper. Mit breiter Brust ins Spiel gehen? Impossbile.
Bei Tyler Wilson (Arkansas), meinem größten QB-Favoriten dieses Jahr, soll lt. Mayock vor allem untersucht werden, wieso er heuer so häufig „Sidearm“ geworfen hat – ein sicheres Zeichen, dass er verunsichert war.
Running Backs
Die größten Stars der Klasse 2013 fehlten. Bei Marcus Lattimore spielte NFLN ein Video über dessen Reha ein. Es gab noch einmal dieses fürchterlich verdrehte Knie zu sehen und ich musste mich kurz abdrehen. Lattimores Heilungsprozess soll besser als erwartet laufen, auch wenn man die riesigen Schnitte an den Knien noch sieht. Es gibt Hoffnung:
Lattimore isn’t a lock to sail through the rest of his rehab or return to full form. But the positive buzz has already started. And it will only take one team willing to take a chance for Lattimore to find his way into the second or third round.
Landläufigste Meinung: Lattimore geht nicht vor der dritten Runde. Auch Lacy von Alabama hatte wegen Fußverletzung keinen Combine-Auftritt. Die anderen Running Backs konnten nicht viel zeigen, weil die 40-Time für Backs ein eher schlechtes Bewertungsmaß stellen (Mayock: Most running backs are quicker than fast).
Montee Ball aus Wisconsin nur mit inoffiziellen 4.62sek. Oregons Kenjon Barner mit 4.44sek trotz schwachem Start. Knile Davis aus Arkansas mit 4.30sek. Auburns Onterrio McCalebb kurz nachdem Mayock auf seine mögliche Topzeit hingewiesen hatte, mit handgestoppten 4.21sek! (was Combine-Rekord wäre)
Ein interessanter Mann könnte „nein, kein Mädel“ Christine Michael von Texas A&M sein: 4.41sek Sprintzeit, spektakuläre Plays aus dem College in Erinnerung, gilt aber als zu wenig durchhaltevermögend und beging am College die Todsünde: Kritisierte seinen Trainerstab via Twitter.
Combine heute
Wir formen uns so langsam ein – wenn auch noch unscharfes – Bild von den Anwärtern. Heute geht es in Indianapolis weiter mit der Defensive Front-Seven, die ich namentlich bereits letzte Woche vorgestellt hatte. Folgende Defensive Ends wurden von der NFL heute eingeladen, auch an den Linebacker-Drills teilzunehmen:
- Ziggy Ansah (BYU)
- Keke Mingo (LSU)
- Dion Jordan (Oregon)
- Alex Okafor (Texas)
- Björn Werner (FSU)
- Damontre Moore (Texas A&M)
Nicht teilnehmen wird heute Jarvis Jones von Georgia. Jones ist der Mann mit der Spiralen Stenose (Wirbelsäulenverengung), und ein Mann mit einer mittlerweile potenziell tragischen Geschichte: Obwohl die Doktoren ihm grünes Licht gegeben haben, dringen schon erste Stimmen durch, die ihm das „Bowers-Schicksal“ androhen, ein Durchfallen lateral durch die Draftboards, weil man im Fehlwuchs ein ernsthaftes Problem sieht. Jones soll in Gesprächen schon sehr resigniert gewirkt haben, was seinen Draft-Status angeht.
Mit dabei, und doch schon abgeschrieben: Sam Montgomery, Defensive End von LSU. Die Gerüchte, dass sein Trainerstab ihn bei LSU längst aufgrund Untrainierbarkeit aufgegeben habe, scheinen in Indianapolis mittlerweile bestätigt worden zu sein. Es soll Teamkollegen und Coaches geben, die offen ihre Abneigung gegen das, was Montgomery so an Einsatz im Training gezeigt hat, zu Protokoll gegeben haben. Da helfen dann auch kein Top-Sprintzeiten mehr.